Montgomery & Stapleton 08 - Die Hand des Bösen
energiegeladen erlebt wie jetzt. Kurze Zeit später erfuhr er, dass sie noch in der Nacht die Flüge und die Unterkunft organisiert hatte, immer vorausgesetzt, Calvin war tatsächlich bereit, ihnen eine Woche freizugeben. Sie würden heute Abend losfliegen, in Paris umsteigen und am späten Abend des morgigen Tages in Neu-Delhi landen. Und sie würden im selben Hotel wohnen wie Jennifer Hernandez.
Um sieben Uhr fand Jack sich in einem kleinen Laden in der Columbus Avenue Auge in Auge mit dem Objektiv einer Digitalkamera wieder. Als es blitzte, zuckte er. Wenige Minuten später standen Laurie und er wieder auf der Straße.
»Lass mal dein Bild sehen!«, sagte Laurie und fing an zu kichern. Jack riss es ihr wieder aus der Hand. Es passte ihm nicht, dass sie sich über ihn lustig machte. »Willst du meines auch sehen?«, sagte sie und hielt es ihm bereits unter die Nase, ohne seine Antwort abzuwarten. Wie erwartet sah ihres besser aus als seines. Das Blitzlicht hatte die rotbraunen Strähnen in ihrem brünetten Haar so eingefangen, dass man glauben konnte, der Kerl im Laden sei ein professioneller Fotograf. Der größte Unterschied aber war bei den Augen festzustellen. Während Jacks hellbraune Augen tief in den Höhlen lagen und ihm ein verkatertes Aussehen verliehen, ging von Lauries blaugrünen Augen ein funkelndes Leuchten aus.
Als sie um halb acht im OCME eintrafen, sah alles recht verheißungsvoll aus. Laurie dachte, dass Calvin sie aus psychologischen Gründen wahrscheinlich nicht so gerne gehen lassen würde, wenn heute besonders viel los war. Aber es war nicht viel los, zumindest bis jetzt nicht. Als Jack und sie das Vorzimmer betraten, wo der Arbeitstag für alle Gerichtsmediziner begann, saß ihr Kollege, Dr. Paul Plodget, am Büroschreibtisch und las in der New York Times. Er war heute dafür zuständig, die Fälle, die über Nacht hereingekommen waren, durchzugehen und vorzusortieren. Vor ihm auf dem Tisch lag ein ungewöhnlich kleiner Stapel mit Aktenordnern, die er bereits durchgesehen hatte. Auf einem der braunen Clubsessel neben ihm saß Vinnie Amendola, einer der Pathologie-Assistenten, der immer schon früher kam, um bei der Übergabe von der Nachtschicht zur Tagschicht behilflich zu sein. Außerdem machte er den Kaffee für alle. Im Augenblick las er gerade die New York Post.
»Nicht viel los heute?«, erkundigte sich Laurie, um sicherzugehen.
»So gut wie gar nichts«, erwiderte Paul, ohne die Zeitung sinken zu lassen.
»Irgendwas Interessantes dabei?«, wollte Jack wissen und blätterte den dünnen Stapel durch.
»Kommt drauf an«, meinte Paul. »Es gibt da einen Suizid, der problematisch sein könnte. Vielleicht habt ihr ja die Eltern gesehen. Sie haben vorhin noch draußen in der Anmeldung gesessen. Gehören zu einer prominenten jüdischen Familie mit sehr guten Beziehungen. Um es direkt zu sagen: Sie bestehen ziemlich eisern darauf, dass wir auf eine Obduktion verzichten.« Paul blickte Jack über den Rand seiner Zeitung hinweg an, um sich zu versichern, dass dieser ihn auch gehört hatte.
»Ist eine Obduktion denn wirklich notwendig?«, wollte Jack wissen. Die gesetzlichen Vorschriften waren eindeutig: Selbstmörder mussten obduziert werden, aber das OCME versuchte, auf die Empfindungen der Familienangehörigen Rücksicht zu nehmen, vor allem, wenn dabei religiöse Fragen berührt wurden.
Paul zuckte mit den Schultern. »Aus meiner Sicht schon, also ist hier ein gewisses Fingerspitzengefühl gefragt.«
»Womit Dr. Stapleton garantiert nicht in Frage kommt«, lautete Vinnies Kommentar.
Jack schnipste mit dem Finger kräftig gegen Vinnies Zeitung, sodass dieser vor Schreck zusammenzuckte. »Angesichts dieser Empfehlung … hast du was dagegen, wenn ich den Fall übernehme?«, wandte Jack sich an Paul.
»Ich bitte darum«, sagte Paul.
»Ist Calvin schon da?«, wollte Laurie wissen.
Paul ließ die Zeitung sinken und schaute Laurie mit einem übertrieben fragenden Gesichtsausdruck an, der besagte: Bist du verrückt geworden?
»Jack und ich würden gerne ganz spontan für eine Woche Urlaub nehmen, ab morgen«, fuhr Laurie fort. »Falls die Arbeit es zulässt, und danach sieht es ja aus, dann würde ich heute gerne einen Aktentag machen, um so viele Fälle wie möglich abzuschließen.«
»Dürfte eigentlich kein Problem sein«, erwiderte Paul.
»Ich gehe mal raus und rede mit den Eltern dieses vermeintlichen Selbstmörders«, sagte Jack zu niemand Bestimmtem und hielt die Fallakte in
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