Montgomery u Stapleton 01 - Blind
daß Cerino ihn bedroht hat?"
"Nein, das hat er nicht. Wie hat er ihn bedroht?"
"Das hat Jordan nicht gesagt. Aber wenn Cerino so ein Typ ist, wie Sie sagen, können Sie sich das ja denken."
Lou nickte. "Ich möchte wissen, warum Jordan mir das nicht erzählt hat."
"Wahrscheinlich glaubt er nicht, daß Sie ihn schützen könnten. Oder könnten Sie das?"
"Wahrscheinlich nicht", räumte Lou ein. "Bestimmt nicht auf Dauer. Nicht jemanden, der so weit oben ist wie Jordan Scheffield."
"Haben Sie etwas Nützliches erfahren bei dem Gespräch?" fragte Laurie.
"Ich habe erfahren, daß die Mordopfer nicht die gleiche Diagnose hatten. Jedenfalls nach seinen Worten. Ich hatte da so eine verrückte Idee. Und ich habe erfahren, daß keine erkennbare Verbindung zwischen ihnen und Jordan Scheffield besteht, außer der, daß sie seine Patienten waren. Ich habe alles mögliche gefragt. Aber leider habe ich nicht viel erfahren."
"Was wollen Sie jetzt machen?"
"Hoffen!" sagte Lou achselzuckend. "Außerdem lasse ich von meinen Ermittlungsteams die einzelnen Diagnosen herausfinden. Vielleicht verrät uns das etwas. Es muß bei alldem etwas geben, das ich noch nicht kenne."
"So geht es mir mit meinen Überdosisfällen auch", sagte Laurie.
"Was machen Sie übrigens noch so spät hier?" fragte Lou.
"Ich hatte gehofft, noch etwas Arbeit erledigen zu können. Aber da mein Puls dank Ihnen noch immer so rast, nehme ich den Schreibkram wahrscheinlich mit nach Hause und versuche es dort."
"Wie wärs mit einem gemeinsamen Abendessen?" fragte Lou.
"Was halten Sie davon, wenn wir nach Little Italy fahren? Mögen Sie Pasta?"
"Ich liebe Pasta."
"Wie wärs dann? Sie haben ja schon gesagt, daß Sie heute nicht mit Scheffield ausgehen; sonst ist das ja Ihre liebste Entschuldigung."
"Sie sind hartnäckig."
"Nun, ich bin Italiener."
Eine Viertelstunde später saß Laurie in Lous Caprice, und sie fuhren Richtung Innenstadt. Sie wußte nicht, ob es eine gute Idee war, mit Lou essen zu gehen, aber es war ihr wirklich kein Grund eingefallen, es nicht zu tun. Und wenn er auch bei früheren Gelegenheiten etwas grob gewesen war, jetzt war er äußerst charmant; er unterhielt sie mit Geschichten aus seiner Kindheit in Queens.
Obwohl Laurie in Manhattan aufgewachsen war, war sie noch nie in Little Italy gewesen. Als sie über die Mulberry Street fuhren, war sie ganz entzückt von der Gegend. Es gab unzählige Restaurants, und auf den Straßen flanierten die Menschen in Scharen. Das Viertel pulsierte vor Leben wie Italien selbst.
"Das ist wirklich italienisch", sagte Laurie.
"Sieht genauso aus, nicht wahr?" sagte Lou. "Aber ich will Ihnen ein kleines Geheimnis verraten. Die meisten Immobilien hier gehören Chinesen."
"Das ist komisch", meinte Laurie etwas enttäuscht, obwohl sie gar nicht wußte, warum.
"Es war früher eine rein italienische Gegend", erklärte Lou, "aber die meisten Italiener zogen weg in die Vorstädte wie Queens. Und die Chinesen mit ihrem Riecher für Geschäfte kamen und kauften Grundstücke und Häuser auf."
Sie fuhren in eine Parkverbotszone. Laurie zeigte auf das Schild.
"Bitte sehr!" sagte Lou. Er legte eine kleine Karte auf das Armaturenbrett. "Hin und wieder bin ich berechtigt, Nutzen daraus zu ziehen, daß ich einer von New Yorks Privilegierten bin."
Lou führte sie durch eine schmale Straße zu einem der unauffälligeren Restaurants.
"Es hat gar keinen Namen", sagte Laurie, als sie eintraten.
"Es braucht keinen."
Das Innere war eine kitschige Mischung aus rot-weiß karierten Tischdecken und Gittern, um die sich künstliches Efeu und Weinlaub mit Plastiktrauben rankten. Kerzen auf bauchigen Flaschen, an deren Seiten das Wachs heruntergelaufen war, dienten als Tischbeleuchtung. An den Wänden hingen auf schwarzem Samt einige Bilder aus Venedig. In dem engen Raum standen dichtgedrängt etwa dreißig Tische; alle schienen besetzt zu sein. Eilig liefen Kellner umher und bedienten die Gäste. Jeder schien jeden mit Vornamen zu kennen. Lebhaftes Geplauder erfüllte den Raum, in dem der volle, köstliche, würzige Essensduft schwebte.
Laurie merkte plötzlich, wie hungrig sie war. "Sieht so aus, als ob wir hätten reservieren müssen", sagte sie.
Lou bat sie, etwas Geduld zu haben. Kurz darauf erschien eine sehr gewichtige und sehr italienische Frau und umarmte Lou herzlich. Lou stellte sie Laurie vor. Sie hieß Marie.
Wie von Zauberhand stand plötzlich ein freier Tisch da.
"Ich habe den Eindruck, Sie sind
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