Montgomery u Stapleton 01 - Blind
möge.
"Entschuldigung", sagte Jordan, als er sich ein paar Minuten später meldete. "Ich operiere immer noch, aber ich habe gebeten, auf jeden Fall benachrichtigt zu werden, wenn Sie anrufen."
"Sind Sie jetzt gerade mitten in einer Operation?"
"Das macht nichts", sagte Jordan. "Ich kann ein paar Minuten unterbrechen. Ich wollte fragen, ob wir das Dinner heute abend etwas später legen können. Ich möchte nicht, daß Sie wieder warten, aber ich habe noch einen weiteren Fall."
"Sollen wir es nicht einfach verschieben?"
"Nein, bitte!" wehrte Jordan ab. "Es war ein furchtbarer Tag, und ich freue mich darauf, Sie zu sehen. Sie wissen ja, Sie haben schon gestern abend etwas aufgeschoben."
"Sind Sie nicht müde? Vor allem, wenn Sie noch einen Fall haben?"
Laurie fühlte sich selbst erschöpft. Der Gedanke, jetzt gleich ins Bett zu gehen, war sehr verlockend.
"Durchaus nicht. Es muß ja nicht so spät werden."
"Wann können Sie kommen?"
"Um neun", sagte Jordan. "Ich schicke Thomas vorbei."
Widerstrebend sagte Laurie zu. Dann rief sie Calvin Washington zu Hause an.
"Was gibts, Montgomery?" fragte Calvin, nachdem seine Frau ihn ans Telefon gerufen hatte. Er klang mürrisch.
"Entschuldigen Sie, daß ich Sie zu Hause störe", sagte Laurie.
"Aber da ich jetzt schon zwölf Fälle in meiner Serie habe, möchte ich Sie bitten, mir alle Fälle zuzuteilen, die morgen eventuell reinkommen."
"Sie haben morgen keine Autopsien. Sie haben Ihren Schreibtag."
"Ich weiß. Deshalb rufe ich ja an. Ich habe am Wochenende keinen Bereitschaftsdienst und könnte den Schreibkram dann erledigen."
"Montgomery, ich denke, Sie sollten etwas bremsen. Sie verbeißen sich zu sehr in Ihre Theorie. Sie sind emotional zu sehr engagiert; Sie verlieren Ihre Objektivität. Es tut mir leid, aber morgen ist für Sie Schreibtag, egal, was mit den Füßen voran durch die Tür kommt."
Laurie legte auf. Sie fühlte sich deprimiert. Gleichzeitig war ihr klar, daß an dem, was Calvin gesagt hatte, etwas Wahres war. Vielleicht hatte sie sich emotional zu sehr engagiert.
Laurie saß am Telefon und überlegte, ob sie den Anruf ihrer Mutter beantworten sollte. Das letzte, was sie jetzt brauchte, waren bohrende Fragen über ihre Beziehung zu Jordan Scheffield. Außerdem war sie sich selbst noch nicht im klaren, was sie von ihm halten sollte. Sie beschloß, ihre Mutter heute nicht anzurufen.
Als Lou durch den Midtown Tunnel auf den Long Island Expressway fuhr, fragte er sich, warum er immer wieder mit dem Kopf gegen eine Mauer anrennen mußte. Eine Frau wie Laurie Montgomery würde in jemandem wie ihm immer nur den städtischen Bediensteten sehen. Warum gab er sich dem Größenwahn hin, daß Laurie plötzlich sagen würde: "Oh, Lou, ich habe mir immer gewünscht, einen Polizeibeamten kennenzulernen, der auf ein städtisches College gegangen ist."
Wütend und irritiert schlug er auf das Lenkrad. Als Laurie so unvermittelt angerufen und darauf bestanden hatte, ihn in seinem Büro aufzusuchen, hatte er geglaubt, sie wollte ihn aus persönlichen Gründen sehen, nicht wegen irgendeiner hirnverbrannten Idee, die Öffentlichkeit mit seiner Hilfe vor einer Kokainepidemie unter Yuppies zu warnen.
Lou verließ den Long Island Expressway und fuhr auf den Woodhaven Boulevard, der nach Forest Hills führte. Da ihm nach Lauries Besuch nicht danach zumute war, an seinem Schreibtisch mit Büroklammern zu spielen, hatte er beschlossen, rauszufahren und sich auf eigene Faust etwas bei den überlebenden Ehepartnern umzusehen. Es war außerdem besser, als zurück in seine miese Wohnung in der Prince Street in SoHo zu gehen und sich vor den Fernseher zu hocken.
Als Lou die lange, geschwungene Auffahrt zum Haus der Vivonettos hinauffuhr, verschlug es ihm doch etwas den Atem. Eine Villa mit weißen Säulen. Augenblicklich klingelte es in seinem Hinterkopf. Ein derartiger Luxus ließ auf schweres Geld schließen. Und Lou konnte nicht glauben, daß ein simpler Restaurantbesitzer so viel Geld machte, ohne Verbindungen zur organisierten Kriminalität zu haben.
Lou parkte seinen Wagen am vorderen Eingang. Er hatte vorher angerufen, und Mrs. Vivonetto erwartete ihn. Als er läutete, öffnete ihm eine Frau, die das Make-up pfundweise aufgelegt hatte. Sie trug ein weißes, schulterfreies Wollkleid. Von Trauer war nicht sehr viel zu spüren.
"Sie sind bestimmt Lieutenant Soldano", begrüßte sie ihn.
"Kommen Sie herein. Ich bin Gloria Vivonetto. Darf ich Ihnen etwas zu
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