Montgomery u Stapleton 02 - Das Labor
vergnügen willst?« fragte Chet. »Wenn du ausgehst - wo gehst du dann hin? Ich will ja nicht neugierig sein, aber hast du eine Freundin?«
»Nein, eigentlich nicht«, erwiderte Jack. »Bist du schwul?«
»Nein. Ich bin sozusagen seit einer Weile außer Betrieb.«
»Kein Wunder, daß du dich manchmal so merkwürdig benimmst. Ich werd’ dir mal was sagen. Wir gehen heute abend zusammen irgendwo essen, und dann gönnen wir uns noch ein paar Drinks. In meiner Nachbarschaft gibt es eine nette Kneipe, in der wir uns in Ruhe unterhalten können.«
»Es drängt mich aber gar nicht danach, über mich zu reden«, sagte Jack.
»In Ordnung«, entgegnete Chet »Du mußt ja nicht reden. Aber wir gehen auf jeden Fall aus. Ich glaube, du mußt einfach mal unter ein paar ganz normale Menschen kommen.«
»Was ist schon normal?«
9. Kapitel
Mittwoch, 20. März 1996,22.15 Uhr
Chet hatte sich durchgesetzt. Was auch immer Jack für Einwände vorgebracht hatte - Chet hatte darauf bestanden, daß sie zusammen essen gingen. Schließlich hatte Jack nachgegeben. Um kurz vor acht hatte er mit seinem Fahrrad den Central Park durchquert, um Chet in einem italienischen Restaurant an der Second Avenue zu treffen.
Nach dem Essen hatte Chet genauso hartnäckig darauf bestanden, noch auf ein paar Drinks in eine nette Kneipe zu ziehen. Als sie nun die Treppe zur Kneipe hinaufstiegen, kamen Jack allerdings Zweifel. In den vergangenen Jahren war er immer um zehn Uhr abends ins Bett gegangen und um fünf Uhr morgens wieder aufgestanden. Jetzt war es viertel nach zehn, er hatte bereits eine halbe Flasche Wein getrunken, und er wurde langsam müde. »Ich weiß nicht, ob das was für mich ist«, sagte er. »Jetzt sind wir schon hier«, drängte Chet. »Komm mit, wenigstens auf ein Bier.«
Jack legte den Kopf in den Nacken und musterte die Fassade des Lokals. Es stand nirgendwo ein Name. »Wie heißt der Laden eigentlich?«
»The Auction House«, sagte Chet und hielt die Tür auf. »Los, beweg deinen Hintern!«
Mit Ausnahme der Theke, die aus Mahagoni gearbeitet war, erinnerte die Inneneinrichtung der Kneipe Jack vage an das Wohnzimmer seiner Großmutter im fernen Des Moines in Iowa. Das Mobiliar bestand aus einer kuriosen Mischung vorwiegend viktorianischer Raritäten. Vor den Fenstern hingen schwere Vorhänge, die hohen Decken waren verziert und hell gestrichen. »Wie wär’s, wenn wir uns da drüben hinsetzen?« schlug Chet vor. Er zeigte auf einen kleinen Tisch am Fenster, von dem aus man auf die 89th Street hinuntersehen konnte. Jack ließ sich nieder. Von seinem Platz aus hatte er den ganzen Raum im Blick. Es waren ungefähr fünfzig Gäste da, einige standen um die Theke herum, andere hatten auf den Sofas Platz genommen. Sie waren alle gut gekleidet und sahen aus, als hätten sie lukrative Jobs. Keiner von ihnen wäre wohl jemals auf die Idee gekommen, sich eine Baseballkappe verkehrt herum auf den Kopf zu setzen. Es waren etwa gleich viele Männer und Frauen. In einer so ›normalen‹ geselligen Umgebung hatte Jack sich schon seit Jahren nicht aufgehalten. Er dachte darüber nach, daß ihm das vielleicht tatsächlich guttat. Schließlich hatte es auch seine Nachteile, ein Einzelgänger zu sein. Während das Stimmengewirr ihn einlullte, fragte er sich, worüber all diese attraktiven Leute wohl reden mochten. Für ihn stand allerdings außer Frage, daß er zu keinem dieser Gespräche irgend etwas beizutragen hatte.
Er ließ seinen Blick zu Chet hinüberschweifen, der an die Theke gegangen war, um zwei Bier zu bestellen. Doch statt zu ordern, war er offenkundig in ein Gespräch mit einer vollbusigen Frau vertieft; sie hatte langes, blondes Haar und trug ein modisches Sweatshirt und enge Jeans. Sie war in Begleitung einer eleganten Freundin, die in ihrem einfachen, dunkelblauen Kostüm und mit dem blondgesträhnten Lockenkopf sehr verführerisch aussah. Die Freundin zog es offensichtlich vor, sich auf ihr Weinglas zu konzentrieren.
Für einen Augenblick beneidete Jack seinen Kollegen um die Leichtigkeit, mit der er auf fremde Leute zuging. Während des Essens hatte er völlig unbeschwert von sich erzählt. Unter anderem hatte Jack erfahren, daß Chet erst vor kurzem eine langjährige Beziehung zu einer Kinderärztin beendet hatte und deshalb jetzt wieder verfügbar und ›auf der Suche‹ sei, wie er sich ausgedrückt hatte.
Plötzlich drehte Chet sich zu ihm um. Beinahe gleichzeitig drehten sich auch die beiden Frauen um,
Weitere Kostenlose Bücher