Monuments Men
Fracht bestand zum größten Teil aus Kunstgegenständen.
Einen Monat später, am 13. März 1945, ließ Walter Andreas Hofer, der Kurator von Görings Kunstsammlung, einen weiteren Zug mit wertvollen Kunstobjekten aus dem Besitz des Reichsmarschalls beladen. Göring, dem seine persönlichen Besitztümer mehr am Herzen lagen als das Schicksal Ostdeutschlands, hatte in Carinhall persönlich die Objekte ausgewählt, die abtransportiert werden sollten. Er wollte vor allem jene Kunstwerke zurücklassen, die er durch die Tätigkeit des ERR in Paris erlangt hatte. Göring rühmte sich seiner Ehrlichkeit, und in gewisser Weise konnte man durchaus sagen, dass diese Stücke auf nicht ganz legale Weise in seinen Besitz gelangt waren. Hofer hatte dem Reichsmarschall heftig widersprochen und sich schließlich auch durchgesetzt. Und so waren die meisten Kunstwerke, die vom Jeu de Paume nach Carinhall gewandert waren, nun doch zusammen mit Hunderten anderen Objekten auf dem Weg zu Görings weiter im Süden gelegenen Residenzen, weit weg von der Roten Armee.
Mehrere bedeutende kleine Gemälde – darunter auch sechs Bilder von Hans Memling und eines von Rogier van der Weyden – nahmen er und seine Gemahlin persönlich mit. Sie würden im Falle einer Katastrophe ihr finanzielles Sicherheitspolster sein, hatte Göring seiner Frau erklärt. Sie hatte auch den kostbarsten Besitz des Reichsmarschalls bei sich, Vermeers Gemälde Christus und die Ehebrecherin. Nachdem Göring zwei weitere verfügbare Bilder von Vermeer (dem insgesamt nur 37 Bilder eindeutig zugeschrieben werden) an Hitler hatte abgeben müssen, wollte er sich nicht auch dieses noch nehmen lassen. Er hatte im Tausch dafür 150 andere wertvolle Gemälde geopfert.
Andere Werke blieben zurück. Nach Jahren der »Erwerbungen« – Hofer dachte überhaupt nicht daran, den Begriff »Plünderungen« zu verwenden – hatte der Reichsmarschall Tausende von wertvollen Kunstobjekten angehäuft. Die Wände seiner Galerien und seiner Wohnräume in Carinhall waren voll mit Bildern wobei aufgrund des chronischen Platzmangels manchmal zwei bis drei übereinander hingen. Sogar über Türrahmen und um Möbel herum waren Bilder angebracht, ohne dass besondere Rücksicht genommen worden wäre auf ihre Entstehungszeit oder ihren Stil. Es war eine prahlerische Zurschaustellung von Überfluss, nicht von Qualität, denn der Reichsmarschall hatte keinen Blick für wahre Genialität. Die meisten Kunsthändler in Europa wussten, dass er einem berühmten Namen nicht widerstehen konnte, und drehten dem arglosen Nazi-Führer auch Bilder minderer Qualität von bekannten Künstlern an. Göring besaß 30 Gemälde des niederländischen Meisters Jakob van Ruisdael und fast ebenso viele des Franzosen François Boucher sowie mehr als 40 Bilder des niederländischen Malers Jan van Goyen. Von seinem Lieblingskünstler, dem deutschen Meister Lucas Cranach dem Älteren, besaß er rund 60 Werke. 171 Hofer hatte ihm geholfen, seine Privatsammlung zu vertiefen und zu erweitern, und hatte die weniger wertvollen Werke in Görings Nebenwohnsitze in Veldenstein und Mauterndorf schaffen und die wichtigsten Objekte in dem Luftschutzbunker in Kurfürst unterbringen lassen, aber dennoch reichten zwei besonders lange Züge nicht, um sämtliche Schätze von Carinhall abzutransportieren. Da die Rote Armee nur noch 80 Kilometer entfernt war, wusste Hofer, dass der zweite Zug die letzte Fracht befördern würde, und der Gedanke, alle diese Kunstwerke zurücklassen zu müssen, schmerzte ihn zutiefst.
Ein letzter Transport wurde schließlich Anfang April durchgeführt, und auch danach war Carinhall noch nicht völlig leer. Ein großer Teil der schwereren Skulpturen und der dekoratigven Werke war auf dem Grundstück vergraben worden. Einige außergewöhnlich große Kunstwerke und zahlreiche Stücke aus dem vom ERR beschafften Mobiliar standen noch immer in den riesigen Räumen. Der Leichnam von Görings erster Ehefrau Carin, nach der das Anwesen benannt worden war, wurde in einen nahe gelegenen Wald umgebettet. 172 Zu den verbliebenen Kunstwerken auf dem Gut kamen nun Hunderte Kilo Fliegerbomben. Auf Befehl Görings hatten Experten der Luftwaffe das Gelände zur Sprengung vorbereitet. Der Reichsmarschall wollte verhindern, dass seine Besitztümer den Sowjets in die Hände fielen – selbst wenn das bedeutete, dass seine Ausstellungsräume und alles, was darin zurückgeblieben war, in die Luft gejagt wurde.
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ZWEI
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