Monuments Men
dass die örtlichen NSDAP-Repräsentanten eine große deutsche Stadt preisgegeben hatten, dass er sie als einfache Soldaten an die Ostfront versetzen ließ, was der Todesstrafe gleichkam. Dann schickte er eine 5000 Mann starke Division mit dem Befehl nach Aachen, notfalls so lange zu kämpfen, bis die Stadt in Ruinen vor ihnen liege und der letzte Mann gefallen sei.
Die Alliierten zögerten. Nachdem sie die Stadt umgangen und das hinter ihr liegende Bergland eingenommen hatten, entschieden die Kommandeure, dass es zu riskant sei, 5000 feindliche Soldaten hinter der Front in der Nähe ihrer Versorgungslinien zu belassen. Am 10. Oktober 1944 forderten sie die Deutschen zur Kapitulation auf. Diese weigerten sich. Am 13. Oktober griff die 1. Armee an. Es war leicht zu rechtfertigen, dass die Kulturgüter der besetzten Länder wie Frankreich oder Belgien zu schonen seien. Aber wie verhielt es sich mit Deutschland? Hancock hatte den Eindruck, dass die Luftangriffe heftiger geworden waren. Die Männer, die in die Stadt einmarschieren würden, das wusste er, würden nicht vom Gedanken an Barmherzigkeit geleitet werden. Das Motto eines der Bataillone lautete: »Haut sie alle nieder!« Die Alliierten waren anscheinend entschlossen, Aachen dem Erdboden gleichzumachen.
Der Kampf tobte drei Tage. Die Alliierten waren militärisch überlegen, aber die Deutschen versteckten sich überall, selbst in den Abwasserkanälen, und die Schlacht entwickelte sich rasch zu einem chaotischen Häuserkampf. Bomber, die von Spähern auf den Höhenzügen dirigiert wurden, warfen Sprengbomben mit langen Zündern ab, die nicht auf den Dächern, sondern erst einige Stockwerke tiefer in den Häusern detonierten und sie zerfetzten. Durch Geschütz- und Panzerbeschuss wurde die Stadt Häuserblock um Häuserblock in Trümmer gelegt. Die alten Steingebäude im Stadtzentrum erwiesen sich als zu robust für Panzer, daher brachten die Amerikaner ihre stärksten Geschütze in Stellung und richteten sie aus kürzester Distanz auf die Mauern. Ein Bulldozer räumte den Schutt für die vorrückenden Soldaten weg, denen die Zerstörung barbarische Freude bereitete. Ein paar Kilometer weiter zurück hatten die Alliierten eine unsichtbare Linie überschritten. Dies war nicht mehr Frankreich; es war Deutschland. Hancock hatte die Vermutung, dass bei den Amerikanern und Briten die Meinung vorherrschte, Aachen habe alles verdient, was die Alliierten aufzubieten hatten, und noch viel mehr.
Am 21. Oktober ergaben sich die überlebenden Deutschen, obwohl Hitler ihnen befohlen hatte, für das Reich zu sterben. Als die Soldaten und Zivilisten zusammengetrieben und weggeführt wurden, überschritten auch Walker Hancock und seine Kollegen die deutsche Grenze. Sie passierten die Minenfelder der Siegfried-Linie, die von Pionieren mit weißen Bändern markiert worden waren. Hinter den Minenfeldern lagen die Drachenzähne, gestaffelte Betonpylone, die in Reihen standen wie die weißen Grabsteine der Kriegsgräber auf dem amerikanischen Soldatenfriedhof Arlington, aber so breit und so wuchtig waren, dass Panzer nicht zwischen ihnen hindurch und auch nicht über sie hinweg fahren konnten. Dann kam Stacheldraht, gefolgt von weiteren Minenfeldern und den massiven betonierten Maschinengewehrnestern, die sich als durch Luftangriffe nicht bezwingbar erwiesen hatten.
Aachen war ein rauchendes Trümmerfeld. Zwei Wochen zuvor war Hancock das holländische Kunstdepot in Maastricht als unwirklich erschienen, aber das hier war eine völlig andere Welt, »der eigenartigste und eindrucksvollste« Anblick seines Lebens. 107 Fenster waren auf die Straßen hinausgeschleudert worden; Straßenbahnwaggons bäumten sich an den Gehsteigen auf wie verkrümmte Metallfinger; von vielen Häusern waren nur noch Schutthaufen übrig geblieben. Vor einer großen freien Fläche, die mit zerbrochenen Türbalken und Ziegelsteinen übersät war, hatten amerikanische Soldaten ein Schild mit einem Zitat Hitlers aufgestellt: »Gebt mir fünf Jahre, und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen.« Darunter stand die englische Übersetzung. 108
Hancock verließ die Hauptmarschroute, auf der Panzer rollten und Patrouillen mit Nachschub und Befehlen hin- und herfuhren, und ging ins Stadtzentrum. Hinter der ersten Biegung tauchte er in eine andere Welt ein und war völlig allein. »Man kann alle möglichen Beschreibungen der Zerstörungen lesen, die durch die Luftangriffe verursacht wurden, man kann sich auch
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