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Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Titel: Moonshine - Stadt der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alaya Johnson
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erzählen. Er hatte die Augenbrauen auch so schon genug in die Höhe gezogen.
    »Ich dachte immer, Sie schreiben nur theatralische Briefe an
Tammany Hall
. Schlafen Sie eigentlich auch mal?«
    »Ich kann eben keine Ungerechtigkeit ertragen.« Ich wusste, dass ich schroff klang, aber es war mir egal. Wie konnte er es wagen, mich anzusehen, als würde er mich überhaupt nicht ernst nehmen?
    »Offensichtlich nicht. Also bin sogar ich es wert, mir etwas Gutes zu tun?«
    »Ich kenne Sie doch kaum.«
    Er öffnete die Tür, und ich keuchte auf, als mir ein Schwall eisiger Luft entgegenschlug. Eilig schloss ich die letzten Knöpfe meines Mantels und zog meine Handschuhe hervor.
    »Ihr Vater hat Ihnen sicherlich eingeschärft, fremden Männern nicht zu helfen, oder?«
    Er machte sich schon wieder über mich lustig. Ich sah ihn an und schenkte ihm mein allerschönstes unnahbares Lächeln. »Es ist Ihr Glück, dass ich nicht auf meinen Daddy höre.«
    Er lachte – wieder dieses außergewöhnliche, schöne Lachen – und schlug den Kragen meines Mantels hoch. »Miss Hollis, was muss ich da feststellen … ist das etwa ein Akzent?«
    Noch ehe ich etwas erwidern konnte, noch ehe ich
rot werden
konnte, war er verschwunden, und die Tür fiel leise hinter ihm ins Schloss. Einen Moment lang nahm ich seinen Duft noch wahr. Ein Duft nach Orangen und Weihrauch und Feuerholz.
    Nach etwas Übernatürlichem – und nach nichts, das ich benennen konnte.
     
    Langsam fuhr ich auf dem Fahrrad nach Hause. Die Menschen, Pferde und Automobile, die um mich herum auf der Straße unterwegs waren, nahm ich kaum wahr. Amir faszinierte mich schon, seit ich ihm zum ersten Mal in meiner Klasse begegnet war. Jetzt fühlte ich mich jedoch, als hätte er mein Gehirn entnommen und sich selbst an dessen Stelle in meinen Kopf gepflanzt. Es war ein seltsames Gefühl. Ich sollte ihm helfen, einen skrupellosen Mafiaboss und Vampir ausfindig zu machen, der die Einwanderer in der Stadt terrorisierte und beinahe alle Gin-Bars jenseits der Fourteenth Street mit Schmuggelware belieferte. Einen Vampir, der seinen Aufenthaltsort anscheinend nicht einmal seinen eigenen Untergebenen verriet. Amir dachte allen Ernstes, ich könnte ihn finden, weil ich immun gegen Vampirbisse war und niemand einen Verdacht gegen eine Frau hegen würde, die für wohltätige Organisationen arbeitete?
    Dennoch musste ich zugeben, dass die Idee mich reizte. Rinaldo hatte unsere Gemeinde lange genug in Angst und Schrecken versetzt. Nun, da sich mir die Gelegenheit bot, hatte ich wohl kaum eine andere Wahl, als ihn zu stoppen. Einen »Blaustrumpf« nannte Daddy mich manchmal – und er meinte das nicht als Kompliment. Gebildet und mutig, aber unweiblich. All das war ich offenbar, sonst hätte ich den Jungen nicht gerettet. Amir gelang es vielleicht, ihn im Moment zu bändigen, doch irgendwann … Ich wusste, dass wir ihn trotz aller Bemühungen möglicherweise am Ende würden pfählen müssen. Der Junge hatte bestimmt eine Familie, und ich musste wenigstens sie finden.
    Ich hätte versucht sein können, die ganze Sache als Traum abzutun, wenn da nicht die Schlammspritzer auf meinem Rock und die Bissspuren an meinem Hals gewesen wären. Die Wunden würde ich vor Mrs. Brodsky verstecken müssen. Fünf Minuten nachdem ich die Schule verlassen hatte, bog ich von der Delancey Street auf die Ludlow Street und kam schlitternd vor Haus Nummer siebenundachtzig zum Stehen. Eilig verstaute ich mein Fahrrad hinter dem Gitter unter der Treppe, bevor ich förmlich durch die makellos saubere Eingangstür ins Haus fiel. Mrs. Brodsky hatte vielleicht ein Herz in der Größe einer Erbse, aber sie machte ihre Schwächen mit dem Schrubber mehr als wett.
    Das moderne Wunderwerk menschlichen Erfindergeistes, genannt Elektrizität, hatte seinen Weg noch nicht in mehr als zwei der Zimmer unseres sorgfältig geschrubbten Winkels des Universums gefunden. Daher suchte und fand ich lediglich anhand der Gerüche und meiner Erfahrung den Weg durch den stockfinsteren Korridor in die Küche. Katya stand am Herd und schöpfte den Inhalt eines gusseisernen Topfes in eine große Schüssel. Keines der anderen Mädchen war zu dieser Zeit unten, also zog ich mir einen Stuhl an die schmale Anrichte und ließ mich darauf fallen. Mit einem Mal wurde mir klar, wie hungrig ich war. Wann hatte ich zum letzten Mal etwas gegessen? Zum Frühstück? Ich hätte mich bestimmt bewusster um etwas zu essen bemüht, wenn ich es mir hätte

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