Moonshine - Stadt der Dunkelheit
irgendjemand – übrigens ein sehr reicher Irgendjemand – das Rezept und die Produktionsmittel von dem Deutschen erworben. Dann hat dieser Typ von allen Schmugglern und Schwarzhändlern in dieser Stadt ausgerechnet Rinaldo kontaktiert und ihm einen Deal vorgeschlagen.«
Die ganze Sache wurde immer größer und größer. »Und? Wer war es?«, flüsterte ich. »Wer hat den Deal mit ihm abgeschlossen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Das wusste der Junge nicht. Ich glaube nicht mal, dass Dore es wusste … Vielleicht hat der Verkäufer Rinaldo ja ausgewählt, weil er sich ihm irgendwie verbunden fühlte? Möglicherweise, weil er selbst ein Vampir ist? Das würde bedeuten, dass unser Verkäufer auch zu den
Anderen
gehört, dass Dore ihn aber nie gesehen hat.«
»Letztlich bedeutet das alles und nichts.«
»Willkommen in der Welt des Journalismus.«
Ich seufzte, und Lily bot mir ihren Arm an. »Es ist an der Zeit, sich fabelhaft zu zeigen. Was es mit sich bringt, dass Sie nicht länger am Büfett hocken sollten, als wäre es Ihr persönlicher Futtertrog.«
Ich funkelte sie an, hakte mich unter und schwebte zurück ins Partygetümmel. Es waren noch mehr Leute gekommen, seit wir unser Gespräch unter vier Augen begonnen hatten, und ich fing an, die gesellschaftlichen Schwingungen zu spüren, die eine feiernde Gemeinschaft immer dann ergreifen, wenn ein bedeutender Mensch eintrifft. Es ist eine Art erzwungener Lässigkeit, gespannter Aufmerksamkeit, die sich als Gleichgültigkeit tarnt. Einen Moment lang fragte ich mich, ob der Neuankömmling vielleicht eine interessante Persönlichkeit war – ein Musiker wie Benny Goodman oder Josephine Baker –, doch im nächsten Augenblick sah ich sein enttäuschendes Gesicht: Jimmy Walker, der seinem Namen als »Nachtbürgermeister« von New York alle Ehre machte und dem sein neuestes Varieté-Flittchen am Ärmel hing.
»Oh, verdammt«, sagte Lily und zog mich am Ellbogen. »Kommen Sie, wir müssen Sie verstecken. Hoffentlich ist er auf dem Weg zu einer besseren Party.«
Aber ich blieb stur auf meinem Platz stehen. »Wie kann er es wagen?«, murmelte ich erschüttert.
Lily stöhnte auf und legte die Hand an die Stirn. »Na ja, er
hat
es gewagt. Bürgermeister tun das, wissen Sie?«
»Schlechte vielleicht. Ich wette, Sie haben ihn gewählt.«
»Also … ich …«
Plötzlich verkrampfte Lily sich, denn »Beau Jimmy« hatte uns entdeckt. Er winkte uns kurz zu und neigte den Kopf. Aus der Nähe konnte ich sehen, dass seine sexy Begleiterin der derzeitige Liebling der Boulevardpresse war, ein besonders sinnliches und temperamentvolles Mitglied der berühmten
Ziegfeld Girls
, einer Revue-Tanzgruppe. Er ließ sie, in eine offensichtlich atemlose Unterhaltung mit zwei anderen Männern vertieft, zurück und schlenderte zu uns herüber.
»Ich werde Sie umbringen«, raunte Lily, während sie ein perfektes Lächeln aufsetzte. »Ich werde Sie umbringen und anschließend auf Ihrem Leichnam tanzen, und kein Gericht der Welt wird mich schuldig sprechen.«
»Oh, warum denn vor Gericht gehen? Zeigen Sich sich ›Beau Jimmy‹ gegenüber einfach ein bisschen gefällig: Küssen Sie ihn, dann erfüllt er Ihnen garantiert jeden Wunsch.«
»Erst Folter«, flüsterte sie, »
dann
Mord.«
»Miss Harding, Miss Hollis. Die Politik lässt mich offenbar nicht los, denn ich kann kaum glauben, dass dieses Zusammentreffen ein Zufall ist.«
Ich war mir sicher, dass sein charmantes Lächeln genauso unehrlich war wie Lilys, doch es wirkte zumindest überzeugender. Er hatte die leicht geröteten Wangen eines Angetrunkenen, obwohl er gerade erst angekommen war. Wie ich unseren Bürgermeister kannte, war es vermutlich schon die dritte Party, bei der er heute Abend auftauchte.
»O nein«, entgegnete Lily lachend, und ihre Stimme war mindestens eine Oktave höher als sonst. »Was für eine Überraschung …«
»Ich kann es auch kaum glauben«, fiel ich laut ein. Lily trat mir brutal gegen den Knöchel. »Ich nehme an, dass Sie der Meinung sind, uns mit Ihrer Aufmerksamkeit zu schmeicheln, oder?« Tatsächlich begann ich mich selbst zu wundern. Warum hatte unser schätzenswerter Bürgermeister nach einem Dutzend Begegnungen vor dem Rathaus ausgerechnet jetzt angefangen, meine Existenz zu bemerken?
Ich weiß bis heute nicht, wie ich darauf kam, denn ich bezweifle, dass sich auch nur ein Muskel in diesem Gesicht mit dem eingeübten, unbekümmerten Lächeln regte, aber ich hatte mit einem Mal den
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