Moonshine - Stadt der Dunkelheit
über die Prominenten. Sie haben mir die Rubrik einfach überlassen, als wäre es nichts.«
Wir gingen zu Fuß, obwohl ab und zu eine Droschke an uns vorbeifuhr.
»Niemand will sich damit beschäftigen«, erwiderte ich. »Zeitungen sind elitäre Institutionen. Na ja, Ihre Zeitung zumindest. Sich wirklich mit den
Anderen
auseinanderzusetzen, enthüllt ihr Versagen wie nichts sonst. Es gibt so viel Bestechung und Unterlassung …« Ich sah sie an, und mein Atem stieg in kleinen weißen Wölkchen zwischen uns auf. Lily wirkte seltsam nachdenklich, als würde sie meine Worte zum ersten Mal ernst nehmen. »
Faust
ist interessant für sie. Aber die andere Seite? Die Selbstmorde, die gepfählten Kinder und überfüllten Mietskasernen? Das wollen sie nicht. Ich gebe Ihnen
Faust
und Rinaldo, Lily, dafür müssen Sie mir im Gegenzug auch etwas geben. Schreiben Sie ein paar Geschichten, die Ihre Leute nicht gern lesen werden.«
Lily umschlang ihre Ellbogen und lehnte sich unvermittelt an eine Häuserecke. »Diese Frau, die Vampirin mit der Silberkugel … mein Gott, wie kann sie nur so leben? Die nicht enden wollende Bedrohung … Ich bin zur
Exeter
gegangen, wissen Sie? Dort haben sie uns beigebracht, dass Blutsauger böse Kreaturen sind, die ihre unsterbliche Seele für ewiges Leben auf der Erde gegeben haben; sie haben Verdorbenheit gewählt, weshalb es unsere Pflicht als Christen ist, sie zu verfolgen. Diese Frau dagegen hat keine Entscheidung getroffen, keine Wahl gehabt, oder?«
Ich antwortete nicht. Trotz all ihrer Fehler war Lily eine erstklassige Reporterin, die beobachtete, statt nur ihre eigenen Erwartungen auf die Ereignisse zu pfropfen. Außerdem blickte sie hinter die Fassade. Aus diesem Grund und ungeachtet des Unsinns, mit dem sie aufgezogen worden war, verstand sie letztlich doch den endlosen Alptraum, der so viele Menschen in dieser Stadt im Griff hatte. Es war bereits so weit, und irgendwie hatte ich Mitleid mit ihr. Es war nicht leicht, mit diesem Wissen zu leben, und noch schwieriger, es jeden Tag miterleben zu müssen.
»Zeph … Was wissen Sie über Amir?«
Ich geriet ein wenig ins Stolpern. »Wieso? Noch immer interessiert?«
Langsam schüttelte sie den Kopf und sprang zum ersten Mal nicht auf meinen Köder an. »Oh, er ist ein absoluter Volltreffer, das bestreite ich nicht. Es ist nur … Wir kennen die
Anderen
nie wirklich, oder?«
»Lily, das ist auffallend nah an dem Vorurteil, von dem Sie mir gerade gesagt haben, dass es eventuell falsch sein könnte.«
Sie funkelte mich an, was seltsam erleichternd war. »Hören Sie,
ich
habe nie behauptet, dass ich der Meinung bin, er solle nicht in das Café des
Roosevelt Hotels
gelassen werden. Vielleicht haben Sie ja recht, und die Vampirin sollte das Wahlrecht und einen gerechten Lohn erhalten. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie nicht
anders
sind und dass man sie verstehen und durchschauen kann wie zum Beispiel wir einander.«
»Oh, also jetzt verstehen und durchschauen
wir
uns also?«
Sie stieß sich von der Mauer ab und lief los. »Gut«, sagte sie. »Gut. Schon gut. Ich wusste, dass Sie mir nicht zuhören würden.«
Einen Moment lang blickte ich ihr wortlos hinterher und setzte mich dann in Gang, um sie einzuholen.
[home]
7 .
W ährend Aileen und ich im Wohnzimmer frühstückten, kamen im fliegenden Wechsel Mädchen dazu oder gingen. Ich nahm den Geschmack von Mrs. Brodskys berühmt-berüchtigtem dünnem Kaffee und Katyas dickflüssigem Haferbrei kaum wahr. Mrs. Brodsky saß wie die sprichwörtliche Henne über allem und schrie die Mädchen, die zu spät kamen und die Treppe hinunterhasteten, mit Nachdruck an.
»Los! Beeilen Sie sich! Glauben Sie, Sie behalten Ihren Job, wenn Sie nicht pünktlich auftauchen? Ich erwarte von meinen Gästen, dass sie bezahlen. Das hier ist keine Wohlfahrtseinrichtung!«
Aileen rollte mit den Augen. »Ich bin froh, dass sie das mal klargestellt hat.«
»Oh, vergiss
Mr
. Brodsky nicht. Wenn es um ihn geht, ist sie der Inbegriff an Großzügigkeit. Ich sollte es wissen – immerhin beweist sie ihm diese Großzügigkeit im Zimmer direkt über uns.«
Wir brachen in Lachen aus, was uns einen scharfen Blick unserer Wirtin einbrachte. Nachdem wir uns wieder in unser Essen und die allmorgendliche Erschöpfung versenkt hatten, dachte ich über die Veränderungen an Aileen nach. Sie sah furchtbar gestresst und angespannt aus. In der Nacht zuvor war sie plötzlich aufgeschreckt und hatte laut geschrien.
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