Moonshine - Stadt der Dunkelheit
erwiderte er erleichtert. »Komm nur nicht zum
Rum
. Dort herrscht das reinste Chaos. Gegen Mitternacht ist
Faust
ausgegangen, weil die neue Lieferung, die wir erwartet haben, nicht gekommen ist. Gerüchte sagen, dass der Boss echt sauer ist, weil dieser Neger – oder von wem auch immer er es kauft – einfach verschwunden ist und weil der deutsche Typ nicht auf seine Telegramme antwortet.« Er schnippte mit den Fingern. »Die Stadt ist trocken wie eine Wüste. Ganz unter uns gesagt: So schlimm finde ich das gar nicht.
Faust …
hätte nicht gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber man kann auch von etwas Gutem zu viel haben. Trotzdem, ich muss eine Möglichkeit finden, um mich zu beweisen, Zephyr. Nick war sauer, als ich den Fusel an die
Westies
verloren habe, aber ich werde es wiedergutmachen. Ich werde Dores Mörder finden. Der Boss hat eine Belohnung auf den Kopf desjenigen ausgesetzt, der ihn zum Platzen gebracht hat.«
Ich bemühte mich, mir nichts anmerken zu lassen, und versuchte, diese Flut an Informationen zu verdauen, die so unverhofft über Charlies Lippen gekommen war. Vielleicht hatte ich die ganze Zeit über den falschen
Turn Boy
aushorchen wollen. Eine Belohnung auf den Kopf von Dores Mörder, der Neger, der
Faust
lieferte und plötzlich sein Geschäft aufgegeben hatte (das musste ich Lily erzählen), und noch etwas, das ich vergessen hatte: die steigende Rivalität zwischen Rinaldos Gang und den
Westies
.
»Nicholas ist sicher außer sich«, tastete ich mich vorsichtig vor. »Die
Westies
haben in den letzten Wochen doch mehrere Lieferungen gestohlen, oder?«
Charlie runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Wenn sie es öfter als einmal getan hätten, dann hätte Nicholas ihnen ganz sicher den Krieg erklärt! Nick mag keine Wilderei in fremden Revieren.«
»Aber … Ich habe gehört, dass es einem von Rinaldos Laufburschen passiert ist, nicht einem von Nicks«, sagte ich. Das war doch merkwürdig.
Er zuckte die Schultern. »Hey, vielleicht. Wir haben nicht viel Kontakt zum Boss, vor allem nicht, seit Dore tot ist. Trotzdem habe ich nichts davon gehört.«
Ich bezweifelte, dass es Giuseppes Sicherheit zuträglich war, wenn ich das Thema weiter verfolgte, daher zuckte ich nur die Achseln und legte die Steuerunterlagen zu einem mehr oder weniger ordentlichen Stapel zusammen.
»Ich wäre dann fertig. Wo soll ich Nicholas unterrichten, wenn nicht im
Rum
?« Trotz meiner Neugierde wegen dieser neuen Wendung wünschte ich mir, ich hätte das Hinterzimmer gründlicher durchsucht, als ich die Möglichkeit dazu gehabt hatte.
»Broad Street Station«, sagte er.
»Die ist doch noch im Bau befindlich.«
»Das geht schon in Ordnung, Nick hat da einen Unterschlupf. Er erwartet dich und wird dich abholen, sobald du da bist, allerdings …« Wieder stocherte er mit dem Fuß in dem Loch im Boden herum. »Macht es dir etwas aus, wenn ich dich dorthin begleite, Zephyr?«
Mit offenem Mund starrte ich Charlie an. »Wie alt bist du eigentlich, Charlie?«
»Ich bin letztes Jahr in Boston gewandelt worden.«
Er konnte nicht älter als fünfzehn gewesen sein, als es passierte. Höchstens sechzehn. Meine Güte, der Junge war verschossen in mich. Ich lächelte und hakte mich bei ihm unter.
Nicks »Unterschlupf« war nicht mehr als eine von Menschenhand geschaffene Höhle, gefüllt mit Steinhaufen und ausrangierten Arbeitsgeräten von der Baustelle. Nicholas führte mich durch den Haupteingang in den Tunnel und dann in sein Versteck, während die Bauarbeiter uns demonstrativ ignorierten. Er hatte ein paar Gaslampen mitgebracht, um den Raum zu erhellen, ansonsten gab es nicht den geringsten Hinweis darauf, dass hier jemand wohnte. Ich fragte mich, warum er sich entschieden hatte, mich hierherzubringen. Vielleicht erkannte er darin den fremden dunklen Ort wieder, wo das Wasser vorbeirauschte und Nebelhörner dröhnten und wo er irgendwie »platte Reifen« bemerkt hatte? Nur warum sollte er das Bedürfnis haben, sich an den Ort zu erinnern, an dem er die fürchterliche Wandlung erlebt hatte?
Ich spürte sofort, dass Charlie, was Nicks Laune betraf, recht gehabt hatte. Der Anführer der
Turn Boys
war kreidebleich, als hätte er entweder vergessen, seinen Hunger zu stillen, oder es sich absichtlich versagt. Er hatte es geschafft, mich in sein Versteck zu führen, ohne auch nur ein Wort zu sagen, und hatte sich auf ein gelegentliches Knurren oder Gesten beschränkt. Ich hätte mich
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