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Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Titel: Moonshine - Stadt der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alaya Johnson
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seinen Bruder, heraufbeschwören kann. Das Heraufbeschwören wird zwar nicht funktionieren, aber Kardal wird wissen, dass wir Hilfe brauchen.«
    Mama nickte. »Warte hier mit Judah.«
    Doch der Junge stand plötzlich vor ihr und versperrte ihr den Weg. Vampirgeschwindigkeit.
    »Ich kann Onkel Kardal rufen«, erklärte er ruhig. »Er hat mir gezeigt, wie es geht.«
    Judah hob die Arme, und seine Augen begannen zu glühen, als wollte er jemanden in seinen Bann schlagen. »Ich rufe den Dschinn Kardal in meinen Kreis.« Die Intensität und Autorität in seiner Kinderstimme waren unheimlich. Er senkte die Arme und setzte sich dann hin, um zu warten. »Er wird gleich hier sein«, sagte er, als wollte er uns beruhigen.
    Ich wandte den Blick von der verstörenden Szene und betrachtete Amir. Ich wollte ihn berühren, aber selbst dreißig Zentimeter von ihm entfernt war die Hitze beinahe unerträglich.
    Kardal erschien einen Augenblick später. Er war nur eine formlose Wolke aus schwarzem Rauch, die Amir umschloss.
    »Das wird ein bisschen ungemütlich«, erklang seine tiefe Stimme, die mir so viel Angst gemacht hatte, als ich sie zum ersten Mal gehört hatte. Und er hatte recht – mit so vielen Menschen war der Übergang in seinen Palast so schwindelerregend, dass ich dort auf die Knie fiel und mich in die dornigen Zweige seiner Rosenbüsche übergeben musste.
    Kardal hatte Mama, Judah und mich in einem seiner Gärten abgesetzt, er und Amir dagegen waren verschwunden. Ich wollte nach ihnen rufen, hielt mich aber zurück.
Du kannst mir nicht helfen.
Hatte Amir mir das nicht gesagt? Ich konnte so viele furchtbare Dinge auf dieser Welt nicht ändern. Sosehr mich der Anblick von Amir, der zusammengesackt und besinnungslos im Park lag, auch entsetzt hatte, so konnte ich doch nichts tun. Ich konnte nur warten und hoffen, dass Kardal ihn rechtzeitig gefunden hatte.
    Ich hockte im duftenden Rindenmulch und legte den Kopf auf die Knie. Wann sich mein unkontrolliertes Zittern in Schluchzen verwandelte, weiß ich nicht mehr, aber irgendwann war Judah neben mir und lehnte tröstend den Kopf an meinen Oberschenkel. Mama saß hinter mir und strich mir mit ihren kühlen, nach Lavendel duftenden Fingern durch die zerzausten Locken.
    »Hast du schon mal darüber nachgedacht, Olivenöl für dein Haar zu verwenden, Süße? Ich habe gehört, es soll Wunder wirken.«
    Ich musste lächeln. Typisch Mama – sie dachte immer an das Wesentliche. »Bestimmt besser als Eiweiß«, sagte ich schniefend.
    »Eiweiß? Du meine Güte!«
     
    Ich weiß nicht mehr, wie lange wir drei in der sanften Stille des Gartens saßen und warteten. In der Ferne gurgelte und plätscherte ein Brunnen, fette Käfer summten um die Rosen und die farbenprächtigen Blumen. Meine Tränen benetzten die Erde unter mir, doch die Wärme von Shadukiams Sonne schien mein Schluchzen zu dämpfen. Ich war mir zutiefst bewusst, wie unpassend meine Anwesenheit in diesem Garten war. Ich gehörte auf die dreckigen Straßen von New York, mit meinem Fahrrad kämpfend und die knarrenden Stufen der zehn Stockwerke in Mietshäusern hinaufwandernd. Amir dagegen gehörte hierher.
    »Es geht ihm bestimmt bald wieder gut«, sagte Mama. »Du wirst schon sehen.«
    Normalerweise weinte ich nicht so. Ich sah ihr an, dass sie nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte. Genauso wenig wie ich übrigens.
    »Ich … Mir tut alles weh, Kardal ist nur eine Rauchsäule, und Nicholas hat den schlimmsten Vater der Welt und nicht verdient, was ihm widerfahren ist. Aber wie kann ich so denken, wenn er so vielen Menschen so furchtbares Leid angetan hat? Trotzdem … bin ich hier und töte wieder Blutsauger. Amir ist vierhundert Jahre alt – vierhundert Jahre, Mama! –, und er kann alle Frauen und Hotdogs haben, die er will. Ich verstehe von alldem nichts, nichts,
überhaupt nichts
, weil er einfach nicht mit mir spricht, also muss ich tatenlos zusehen, wie es ihn auffrisst, und kann nichts tun, um ihm zu helfen!«
    Mama schloss mich fest in die Arme, und obwohl ich zweieinhalb Zentimeter größer bin als sie, fühlte ich mich in dem Moment wieder wie ein kleines Kind, das in dieser Umarmung geborgen war. »Es wird alles gut«, sagte sie mit rauher Stimme. »Es wird alles gut.«
    Sie und ich wussten, dass sie es nicht versprechen konnte – niemand konnte das –, dennoch waren die Worte wie Balsam für uns beide.
    Ich hatte mich so weit gesammelt, dass ich mir das Gesicht im Brunnen waschen konnte, bevor

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