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Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Titel: Moonshine - Stadt der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alaya Johnson
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anderen Arbeiter gewandt.
    Damit ging er weg. Für die Männer im Tunnel schien ich nicht länger von Interesse zu sein.
    Na ja, es ist nichts Unehrenhaftes, wenn man den geordneten Rückzug antritt. Auch bekannt als:
Jetzt aber so schnell wie möglich raus hier, bevor ich bei lebendigem Leibe verspeist werde.
Flugs hob ich mein Fahrrad auf, das ich achtlos hatte fallen lassen, und hastete zum Ausgang. Ich wollte rennen, doch es erschien mir wenig würdevoll, und ich wollte meinem Ruf nicht noch mehr schaden, als ich es ohnehin schon getan hatte. Ich konnte jetzt schon hören, was sie hinter meinem Rücken sagen würden: »Diese Abendschullehrerin ist vor einem Haufen Blutsauger aus dem Tunnel geflüchtet. Und sie unterrichtet die Kerle auch noch, diese Idiotin.«
    Ich befand mich gerade unter dem Gerüst am Tunneleingang und wollte ins Tageslicht hinaustreten, als sich plötzlich ein riesiger Eiszapfen von einer Holzplanke über mir löste. Bevor ich ausweichen konnte, riss jemand den Zapfen mit übernatürlicher Schnelligkeit direkt aus der Luft an sich. Der Schreck verjagte die Angst, und ich war mit einem Mal wütend und kampfbereit. Ohne dass ich bewusst danach gegriffen hätte, wirbelte ich mit meinem Messer in der Hand zu meinem Retter herum. Reglos stand er halb im Sonnenlicht, als wollte er sein
Anderssein
bewusst zur Schau stellen. Er gehörte mehr als offensichtlich zu den
Anderen
, denn während seine Haut im Sonnenlicht fast grau wirkte, war sie im Schatten schokoladenbraun. Er hielt den Eiszapfen in der linken Hand, doch das Eis schmolz nicht. Fast wirkte der Zapfen wie ein Pflock zum Pfählen. Ein widersprüchliches Bild. Als es selbst in mein langsam arbeitendes Gehirn vorgedrungen war, dass der Mann nicht vorhatte, mich anzugreifen, entspannte ich mich etwas und schob nervös mein Messer zurück.
    »D… Danke«, stammelte ich.
    Der Mann war älter als die meisten anderen Bauarbeiter, zumindest schien er äußerlich älter zu sein. Angesichts seines leicht ergrauten Haars und des Barts nahm ich an, dass er mindestens fünfzig gewesen sein musste, als er gewandelt worden war.
    »Sie sind die Lehrerin, stimmt’s? Die Vampirrechtlerin? Was wollen Sie von Rinaldo?«, fragte er, nachdem er mich einen unangenehm langen Moment gemustert hatte.
    Ich fluchte innerlich und bemühte mich, eine einleuchtende, möglichst harmlose Erklärung zu finden. Wie zum Beispiel: »O nein, ich habe mich nur nach meinem
Bruder
erkundigt, der zufällig auch Rinaldo heißt – nicht nach dem niederträchtigen Mafiaboss. Wie dumm von mir!« Außerdem …
Vampirrechtlerin?
Oje, mein armer Ruf.
    »Ich …«
Ich bin unglaublich dumm?
»Ich wollte nicht …«
    Er unterbrach mein Gestammel mit einem Lächeln, das seltsam ermutigend war. »Niemand hat Rinaldo je zu Gesicht bekommen, am allerwenigsten wir, und ganz sicher nicht Giuseppe, der bedauernswerte Narr. Näher als bis zu Dore, Rinaldos rechter Hand, kommen wir nicht an ihn heran. Er ist ungefähr hundert Jahre alt.« In atemberaubender Geschwindigkeit drehte er den Eiszapfen zwischen seinen Fingern, ehe er ihn fallen ließ, so dass er auf dem Boden in unzählige Stücke zerbarst. »Sie wollen Dore nicht treffen, und Sie wollen ganz sicher nicht ins Blickfeld von Rinaldo geraten. Also, wem auch immer Sie helfen, tun Sie sich beiden einen Gefallen und raten Sie ihm, es sein zu lassen. Sie hatten schon bessere Einfälle.«
    Ich verzog den Mund zu einem spöttischen kleinen Lächeln.
Wie wahr, wie wahr.
Ich wollte etwas erwidern, doch er nickte mir nur zu und ging dann zurück in den Tunnel.
    Die geistlosen Sprüche der Männer, die ich mir anhören musste, als ich auf mein Fahrrad stieg, waren beinahe beruhigend. Wenigstens glühten ihre Augen nicht. Wenigstens wollten sie, auch wenn Zurückhaltung nicht ihre Stärke war, nicht mein Blut.
     
    Meine Stimme klang während unserer Sprechchöre auf der Demonstration für gleiche Bezahlung bei Nachtarbeit vor dem Rathaus ungewöhnlich belegt. Unser ehrenwerter Bürgermeister Jimmy Walker, der die Hälfte seines Erfolgs seinem guten Aussehen und die andere Hälfte der geschmierten Demokratischen Partei in
Tammany Hall
verdankte, spielte mit dem Gedanken, ein Veto gegen ein Gesetz einzulegen, das die Löhne der
Anderen
verbessern helfen sollte, die oft die Nachtschicht auf Baustellen und in Fabriken übernahmen.
    Ich hatte zwar nicht geholfen, diese Demonstration zu organisieren, aber ich war Mitglied in beiden Bürgervereinen,

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