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Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Moonshine - Stadt der Dunkelheit

Titel: Moonshine - Stadt der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alaya Johnson
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Tische, ehe ich die Tür zum Hinterzimmer fand. Der schwache Schein einer Gaslampe erhellte den kleinen Raum, in dem Nicholas auf dem Boden saß, den Rücken gegen einen Haufen zerstörter Instrumente gelehnt. Seine Haut war vom Blut gerötet, doch unter der Röte seltsam blass.
Faust
mit einem Schuss Homo sapiens? Ich hoffte, dass das Blut freiwillig gespendet worden war, aber irgendwie bezweifelte ich es. Sein Kopf lag auf der Brust, und man hätte meinen können, dass er schlief, wenn da nicht seine offenen, glühenden Augen gewesen wären.
    »Das lasse ich nicht zu«, murmelte er.
    »Nicholas?«
    »Bitte, nicht den Käfig, ich brauche ihn nicht mehr …« Er sah mich nicht an, und irgendetwas an seinem versunkenen Ausdruck erinnerte mich an Judah, als er in Kardals Palast halluziniert hatte. »Da ist etwas mit mir drin. Es brüllt, Papa.«
    Mein Herz schlug wild. Bevor ich jedoch fragen konnte, was er meinte, hob er den Kopf. Der Anfall war vorüber – was auch immer es gewesen sein mochte. Er sah müde aus, aber klar.
    Mit den Fingern trommelte er ungeduldig auf den staubigen Fußboden. »Ich hätte nicht gedacht, dass du kommst.«
    Er war mir nie kindlicher, nie fremder vorgekommen. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich das Geld brauche.«
    Ich wartete, allerdings schien er nicht geneigt, sich zu rühren. Nach einer Weile zuckte ich die Schultern und zog einen Stuhl zu mir heran.
    »Meinst du, dass wir heute den Rest des Alphabets durchgehen können?«
    »Kennst du
La Bohème
? Musettas Walzer?
Quando m’en vo’ soletta la via.
«
    Ich war schockiert. Stellen Sie sich vor, ein ungebildeter Vampirgangster würde Sie dazu bringen, sich wie ein Bauerntrampel zu fühlen. »Ich bin mir nicht sicher …«
    Er begann zu singen. Wenn ich von seiner Frage überrascht war, so stockte mir beim Klang seiner Stimme das Herz. Ich hatte davon gehört, dass früher in Italien manchmal besonders begabte Jungs vor der Pubertät kastriert worden waren und dass diese abscheuliche Operation Stimmen hervorgebracht hatte, die perfekt und schaurig-schön zwischen dem Falsett eines Jungen und dem Tenor eines Mannes gelegen hatten. Nicholas’ Stimme war so hoch und klar wie die eines Jungen, nur irgendwie breiter und voller. Ich hatte nie zuvor einen Kastraten singen hören – nicht einmal auf dem Grammophon. Eine Kastratenstimme hatte im Laufe der Jahre erwachsener werden können, während Nicholas’ Stimme für immer eingefroren war, dennoch vermutete ich, dass die beiden Klänge nicht sehr unterschiedlich sein könnten.
    Er bewegte die Hände, als würde er ein unsichtbares Orchester dirigieren, und seine Augen warfen Licht in den dunklen Raum, als er eine hohe Note sang. Selbstverständlich hatte ich das Lied bereits erkannt. Mein Musikgeschmack ging eher in Richtung Jazz als italienische Opern, aber es war schwierig, sich einer solch berühmten, herzzerreißenden Melodie zu entziehen. Am Ende des Liedes verstummte er abrupt, und das zarte Vibrato seiner Stimme ging mühelos in ein rauhes Lachen über.
    Er stand auf, brach den Hals einer zerborstenen Gitarre ab und schleuderte ihn gegen die Wand. Die Saiten pfiffen an meinem Gesicht vorbei, allerdings glaubte ich nicht, dass er absichtlich auf mich gezielt hatte. Ein schwacher Trost.
    »Papa hat das Lied geliebt«, sagte er. Sein Atem ging schwer, obwohl ich nicht wusste, warum. »Aber von mir hat er nie verlangt, diese Arie zu singen.«
    Womit wir wieder bei den mit Problemen belasteten Beziehungen zu Eltern wären, nicht wahr?
Sei vorsichtig, Zephyr.
»Dein Papa … hat dich ermutigt zu singen?«
    Wieder stieß er dieses rauhe Lachen aus. Ich zuckte zusammen und erwartete ein weiteres Wurfgeschoss, aber er verhielt sich ruhig. »
Ermutigt.
Das ist ein Wort, das nur ein Weltverbesserer wie du benutzen kann. Würdest du gern noch ein paar andere hören? Wie wäre es mit
gezwungen
?
Bedroht?
Oh, hier ist noch ein gutes:
gequält.
«
    Gequält? Wie quälte man jemanden, damit er sang? Aber als ich Nicholas’ verzerrtes Gesicht und seine hellen Augen sah, war ich geneigt, ihm zu glauben. »Kein Wunder, dass du Musik hasst.«
    »Man kann nur hassen, was man liebt.«
    Ich seufzte. Genau wie Daddy, der mich erst anschrie und im nächsten Moment umarmte. »Eltern«, sagte ich und vergaß einen Augenblick lang, dass ich mit Nicholas sprach und nicht mit einem aufgewühlten Jungen, »sind für uns alle eine schwere Prüfung.«
    Nicholas machte einige schnelle Schritte auf mich zu

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