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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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schüttelte ich mir die nassen Haare aus der Stirn und starrte auf die Oberfläche, auf der Sonnenflecken einen spöttischen Ringelreihen tanzten. Das Wasser war trübe und ich konnte kaum zwanzig Zentimeter tief blicken. Doch mit einem Mal glaubte ich etwas zu sehen. Es war ein fächerförmiges Blatt, allerdings nicht dunkelgrün sondern fast weiß. Merkwürdig, dachte ich, und während ich automatisch immer weiter Wasser trat, starrte ich auf das Wasser. Das Blatt hatte Finger. Es war auch keine Pflanze, sondern eine Hand. Und das, was ich zunächst für einen dicken Stängel gehalten hatte, war ein Arm.
    Obwohl meine Augen alle Details fotografisch aufnahmen, weigerte sich mein Hirn, zu begreifen, was ich da sah. Eine Stimme in meinem Kopf, die kühl und vernünftig klang, versuchte mir klarzumachen, dass das nicht sein konnte. Im See war kein Mensch außer mir – schon gar nicht unter Wasser. Es war diese innere Stimme, die mich dazu brachte, mir die Nase zuzuhalten und mit weit aufgerissenen Augen unterzutauchen. Ich glaubte wirklich, das Bild würde sich im nächsten Augenblick als Sinnestäuschung erweisen. Doch dann sah ich den weißen Arm an einem blassen, aufgedunsenen Rumpf hängen. Obwohl ich es nicht sehen wollte, glitt mein Blick magisch angezogen an dem Arm entlang, zur Schulter, zum Hals … Offene Augen, deren Blau mir bekannt vorkam, schienen mich anklagend anzustarren. Hellblonde, fast weiße Haare, die wie unruhige Tentakel farbloser Quallen im Wasser schaukelten. Die Nässe hatte die Locken verschwinden lassen, aber ich erkannte auch so, wer da vor mir unter Wasser trieb: Mia. Sie war nicht in Berlin. Der Nöck hatte sie geholt.

Kapitel 12
    Wie ich aus dem See und zurück zur Kommune gekommen war, wusste ich nicht mehr. Ich hörte nur jemanden schreien, hoch und atemlos. Erst als meine Kehle zu brennen anfing, merkte ich, dass ich es war, die da schrie. Auf einmal vertrat mir eine Gestalt den Weg. Der Wassergeist! Er hat mich gefunden und nun holt er mich hinunter zu Mia. Als seine Hände, zwischen deren Fingern ich Schwimmhäute zu sehen glaubte, nach mir griffen, wand ich mich schreiend und trat wild um mich. Doch etwas hielt mich wie eine Zange umklammert. Ich würde dem Nöck nicht entkommen. Er würde mich mitnehmen in die schwarzen Tiefen des Moorsees und bald würde ich wie Mia tot dahintreiben … Meine Knie gaben nach und ein gnädiges Vergessen hüllte mich in eine dunkle, weiche Decke.
    Langsam tauchte ich wieder aus der Schwärze empor. Nach zwei Sekunden kam die Erinnerung zurück und ich rang panisch nach Luft, in der Erwartung, brackiges Moorwasser würde meine Lungen füllen. Doch nichts passierte. Als ich die Augen aufschlug, sah ich eine schmale Gestalt neben meinem Bett sitzen. Rechts und links von ihr ragten zwei halbrunde Schatten in den Raum. Ich blinzelte und langsam wurden die Konturen schärfer. Es war Deva, die ihren Rollstuhl dicht neben das Bett gestellt hatte, in dem ich lag. Die Räder warfen den Schatten, der mich erschreckt hatte. Ich versuchte mich aufzusetzen, aber schon bei der kleinsten Bewegung wurde mir schwindlig und ich fiel kraftlos zurück in die Kissen. »Ganz ruhig, Kindchen, ich bin ja da«, hörte ich Devas besorgte Stimme. »Was …«, setzte ich an, aber aus meiner Kehle kam nur ein heiserer Ton. Mein Hals tat weh und fühlte sich wund an, als hätte ich eine Portion rostiger Nägel verschluckt.
    »Du kamst patschnass, die Kleider verkehrt herum angezogen und völlig aufgelöst hier an. Aryana hat dich gefunden und zu mir gebracht. Du warst verängstigt und halb ohnmächtig. Die ganze Zeit hast du nur etwas vom Nöck gestammelt, der sich sein Opfer geholt hat«, erzählte Deva und legte mir ihre kühle Hand auf die Stirn. Genauso hatte es meine Mutter früher gemacht, wenn sie prüfen wollte, ob ich Temperatur hatte und krank wurde.
    »Ich … Moorsee … hab Mia da unten gesehen«, krächzte ich mühsam und klang wahrscheinlich wie ein zahmer Rabe, der gerade seine ersten Sprechversuche macht. Deva strich mir übers Haar. Zu meiner grenzenlosen Überraschung lächelte sie.
    »Feline, Mia ist nicht hier. Sie ist wahrscheinlich in Berlin oder in irgendeiner anderen Stadt. Dass du sie gesehen hast, musst du dir eingebildet haben«, summte sie beruhigend. Ich schüttelte nur den Kopf. Wenn ich mich an etwas erinnerte, dann war es Mias Gesicht dort unten im Moorsee. Wieder hatte ich das Bild ihrer blonden Haare, die vom Wasser in einen seltsamen Tanz

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