Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
Vom Netzwerk:
versetzt wurden, vor Augen und ein Wimmern entrang sich meiner Kehle. »Du bist wahrscheinlich schwimmen gegangen und hast dich überanstrengt«, hörte ich Deva sagen, und ihre Finger strichen sanft über meine Wange. »Draußen ist es sehr heiß, das Wasser war kalt, da ist dir der Kreislauf weggekippt. Sicher hast du zu schnell geatmet und hyperventiliert. Da kann man schon mal Dinge sehen, die in Wirklichkeit gar nicht da sind«, setzte sie schmunzelnd hinzu.
    Eigentlich wollte ich wütend werden, weil sie mir nicht glaubte. Aber stattdessen hatten ihre Argumente und ihr sanftes Lächeln die Wirkung einer Tasse Baldriantee. Mein panisch jagender Herzschlag beruhigte sich. Vielleicht hatte sie ja recht. War ich nicht, kurz bevor ich Mia zu sehen glaubte, untergegangen und hatte mich verschluckt? Außerdem war ich in Gedanken gerade mit dem Märchen meines Großvaters vom Nöck beschäftigt gewesen. Vielleicht hatte mir meine eigene Vorstellungskraft tatsächlich einen Streich gespielt? Doch dann schob sich erneut das Bild von Mias weißen Fingern, die mich berührt hatten, dazwischen. Unwillkürlich zuckte ich zusammen. Die Diashow in meinem Kopf begann erneut und in rascher Reihenfolge tauchten die Erinnerungen auf: Mias starrer, gläserner Blick aus blauen Puppenaugen. Ihr Körper, so weiß wie das Fleisch eines ausgenommenen Fisches … Mit einem erstickten Wimmern schlug ich die Hände vors Gesicht. Ich wollte mir die Augen zuhalten, um nichts mehr sehen zu müssen, doch auch hinter meinen geschlossenen Lidern trieb die tote Mia im Moorwasser.
    Eine Hand rüttelte mich sanft an der Schulter und Devas Altstimme umfing mich warm und tröstlich: »Feline, beruhige dich doch, es ist alles in Ordnung.« Aber das stimmte nicht. Mia war tot und nichts war in Ordnung.
    »Ich habe mir das nicht eingebildet! Ich hab sie da unten gesehen! Warum glaubst du mir nicht?«, rief ich verzweifelt.
    Für einen kurzen Augenblick schien eine dunkle Wolke über Devas Gesicht zu wandern. War es Ungeduld oder Zorn? Doch sofort verschwand der Eindruck wieder. Ihr Blick war nur noch freundlich-besorgt und sie nahm mein Gesicht zwischen ihre Hände. »Feline, irgendetwas hat dich schrecklich aufgeregt. Du bist ein bisschen überreizt. Vielleicht solltest du mit Zeno reden und …«
    Ich unterbrach sie und schüttelte heftig den Kopf: »Nein!« Zeno würde mich für total durchgedreht halten, wenn ich ihm erzählte, was ich unter der Oberfläche des Moorsees gesehen hatte. Dann aber fiel mir ein, dass Aryana mich gefunden hatte, als ich total aufgelöst in die Oase gerannt war. Garantiert hatte sie das Zeno bereits brühwarm weitererzählt.
    Ein irrationaler Zorn auf Aryana machte sich in meinem Bauch breit. Immerhin verlieh mir dieses Gefühl die Kraft, mich aufzusetzen. Ich schüttelte erneut den Kopf, diesmal aber, um die letzten, klebrigen Spinnweben der Benommenheit abzuschütteln, die an mir hingen.
    »Ich bilde mir das nicht ein«, versuchte ich, Deva zu überzeugen. »Und ich bin auch nicht überreizt«, fügte ich hinzu, aber ich hörte selbst den piepsigen Klang meiner Stimme.
    Deva schüttelte milde den Kopf. »Morgen sieht alles schon wieder anders aus, Feline. Und bis dahin gebe ich dir etwas, damit es dir besser geht.« Mit einer geschickten Drehung wendete sie ihren Rollstuhl. Ich hörte das leise Quietschen der Gummireifen auf dem Holzboden. Ich wollte ihr hinterherrufen, dass ich nichts brauchte. Doch die Worte kamen nicht aus meinem Mund und auch das Drehen des Kopfes bereitete mir Mühe. Mein Blick folgte Deva und plötzlich glaubte ich, statt ihrer Gestalt im Rollstuhl eine riesige unförmige Krähe zu sehen. Die schwarzen Flügel gespreizt wandte sie den Kopf und blickte mich mit kalten schwarzen Knopfaugen an, bereit mir mit ihrem scharfen Schnabel das Herz aus der Brust zu picken … Eine Welle des Entsetzens schwappte heran und schien mich zu verschlingen. Ich wurde in die Luft geworfen und dann in eine dunkle, nasse Tiefe gezogen. Immer schneller drehte sich alles um mich und auf dem schwarzen Wasser tanzten weiße Schaumkronen. Ich sank und sank, bis ich nichts mehr fühlte.
    Eine helle Stimme riss mich aus meiner Bewusstlosigkeit. »Nöck, Nöck, Nadeldieb …«, sang sie. Verschwommen dachte ich, dass ich die Person kannte, die da sang. Um mich herum war es warm und ich schwebte schwerelos dahin. Ich öffnete die Augen und sah silbrige Luftblasen vor meinem Gesicht. Sie kamen aus meinem Mund. Und das

Weitere Kostenlose Bücher