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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Kräuterschnaps? Oder litt ich tatsächlich schon an Verfolgungswahn? Doch unerbittlich schwebte das Glas vor meinem Mund und mir blieb nichts weiter übrig, als die klare Flüssigkeit zu trinken. Aus einem Impuls heraus schluckte ich jedoch nur einen kleinen Teil, den Rest behielt ich im Mund. Indem ich so tat, als würde ich mich wieder hinlegen, drehte ich mich zur Seite und spuckte den Rest rasch und verstohlen aus. Zwar war mein Kopfkissen nun auf einer Seite nass, aber wenigstens sah man wegen der durchsichtigen Konsistenz des Gebräus keine Flecken.
    »So ist es gut«, hörte ich Zeno sagen und seine warme Hand strich mir übers Haar.
    »Okay«, murmelte ich und merkte, dass ich erneut schläfrig wurde. Allerdings nicht, weil ich müde war. Ich fühlte mich eher dumpf und benommen. Lag es an dem Getränk?
    »Schlaf, Feline, danach ist alles wieder gut«, ertönte Zenos Stimme.
    Gehorsam schloss ich die Augen, aber ich wollte nicht schlafen und im Traum Mia begegnen. Daher ballte ich unter der Bettdecke die Hände zu Fäusten und grub meine Fingernägel in die Handballen, um wach zu bleiben. In Gedanken begann ich, das Einmaleins aufzusagen, um nicht wegzudämmern. Zenos Stimme war verstummt. War er überhaupt noch im Raum? Ich wagte nicht, die Augen zu öffnen. Einmal eins ist eins, zweimal eins ist zwei …, zählte ich mir stumm vor. Nicht einschlafen, nur nicht einschlafen!
    »Ich glaube, jetzt ist es so weit«, hörte ich auf einmal Deva flüstern.
    Einen Moment Stille, dann fühlte ich eine leichte Berührung an der Schulter und hörte Zeno leise fragen: »Feline? Bist du noch wach?«
    Instinktiv wusste ich, dass ich besser nicht antworten sollte. Mit geschlossenen Lidern lag ich da und bemühte mich, ruhig und tief zu atmen. Ich spielte die Schlafende, die sich weit fort im Reich der Träume befand. Dreimal eins ist drei, viermal eins ist … vier. Ich merkte, wie ich unfreiwillig begann, in einen schwebenden Dämmerzustand zu gleiten. Ich kniff mich heimlich in den Arm, um wach zu bleiben. Der Schmerz half. Fünfmal eins …
    »Sie schläft«, sagte Zeno.
    »Ihr hättet sie niemals alleine irgendwohin gehen lassen dürfen, das weißt du«, hörte ich Devas Stimme und nun war sie nicht mehr warm und beruhigend, sondern hatte den scharfen Klang einer Glasscherbe, die auf Marmor kratzt.
    »Was passiert ist, ist passiert«, erwiderte Zeno. »Wichtig ist jetzt, wie wir damit umgehen.« Sein Tonfall war ruhig, aber er klang irgendwie verzerrt und erinnerte mich an eine dieser alten Schellackplatten, wenn der Plattenspieler eierte.
    Nun redete wieder Deva, aber auch ihre Stimme kam von weither. »Wir müssen sichergehen«, hörte ich, nur dass es sich für mich wie »siiiichergeeeen« anhörte. Die dunklen Wogen des Schlafes nahmen mich auf, wiegten mich sanft hin und her, und obwohl ich verzweifelt versuchte, die Benommenheit abzuschütteln, konnte ich nichts dagegen tun. Ich saß auf einer Wattewolke, die langsam mit mir davondriftete. Das Letzte, was ich hörte, waren die Satzfetzen »Mia« und »muss was passieren«. Genau, dachte ich schon halb im Nebelland des Dämmerschlafs, Mia musste etwas passiert sein. Endlich glaubten sie mir. Dann schlug Schwärze über mir zusammen und ich wusste nichts mehr.
    Als ich die Augen aufschlug, malten die Sonnenstrahlen, die schräg durchs Fenster hereinfielen, Kringel auf meine Bettdecke. Es musste fast Mittag sein. Ein paar Sekunden lang fühlte ich mich warm und geborgen. Bis mich die Erinnerung an das einholte, was ich vor dem Einschlafen gesehen hatte.
    Mia. Tot. Im Moorsee.
    Mit einem Ruck setzte ich mich auf. Ich lag immer noch im Bett in Devas Haus. Und obwohl ich den Eindruck hatte, tagelang geschlafen zu haben, fühlte ich mich immer noch leicht taumelig, während ich meine Beine aus dem Bett schwang. Ein paar Sekunden blieb ich sitzen und atmete tief durch, bis der Schwindel nachließ. Vorsichtig tapste ich zur Tür und drückte behutsam die Klinke. Gebrabbel und Gekicher drang durch den Spalt herein. Offenbar war Jaron, Mias kleiner Sohn, ebenfalls wach. Während ich noch überlegte, ob ich nach Deva rufen sollte, schwang eine der Türen auf, die vom Flur abgingen und sie kam mit ihrem Rollstuhl herausgefahren. Auf ihrem Schoß den jauchzenden Jaron, für den diese Spazierfahrt offenbar ein einziges großes Kindervergnügen war.
    Als der Kleine mich sah, verstummte er für einen Moment und seine Augen wurden groß. Dann aber grinste er übers ganze Gesicht.

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