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Moorseelen

Moorseelen

Titel: Moorseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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Kopf und geriet erneut ins Zweifeln – diesmal aber über mich selbst. Was Deva sagte, klang plausibel. Kurz nachdem meine Mutter verunglückt war, hatten mich furchtbare Albträume gequält. Fast jede Nacht sah ich sie im Schlaf eingeklemmt im Auto sitzen, blutend und rufend, während ich verzweifelt versuchte, sie aus dem verbeulten Blechhaufen, das einmal ein Auto gewesen war, zu befreien. Ihre Augen flehten mich durch die Scheibe um Hilfe an, während ich von außen panisch am Griff der Fahrertür zerrte, stets ohne Erfolg. Und niemand war da, der mich um Hilfe rufen hörte. Oft schlief ich die ganze Nacht nicht mehr, aus Angst, die Bilder kämen wieder.
    Die Träume waren in letzter Zeit seltener geworden und inzwischen kamen sie gar nicht mehr. Was aber nicht hieß, dass ich meine Mutter vergessen oder die Trauer überwunden hatte. Vielleicht spielte mir mein Unterbewusstsein tatsächlich noch den einen oder anderen grausamen Streich?
    Deva nickte, als hätte ich meine Vermutung laut ausgesprochen. »Siehst du, Feline, es gibt für alles eine rationale Erklärung«, sagte sie und lächelte mich an.
    »Wir sind für dich da, du musst keine Angst mehr haben«, fügte Zeno hinzu und drückte erneut meine Hand. »Du bist hier zu Hause!«
    Ich hätte am liebsten geweint. Diesmal allerdings vor Erleichterung, weil es nur meine Vorstellungskraft gewesen war, die mich an der Nase herumgeführt hatte. Mit aller Kraft wollte ich in der Oase bleiben, dort, wo ich gemocht wurde – und wo Zeno war. Trotzdem blieb die kritische innere Stimme, diese hartnäckige Stechmücke, die immer noch irgendwo in meinem Kopf summte. Energisch verscheuchte ich sie. Ich wollte nichts hören.
    Ich blickte erst Zeno, dann Deva an. »Wahrscheinlich habt ihr recht«, sagte ich und befahl mir, ganz fest daran zu glauben. Ich meinte zu erkennen, wie die beiden einen blitzschnellen Blick wechselten – Erleichterung? Energisch schüttelte ich den Kopf, um die letzten wirren Gedanken abzuschütteln.
    »Du brauchst noch ein wenig Rekonvaleszenz, Kind, schaltete Deva sich ein. »Und was Anständiges in den Magen. Am besten Kohlenhydrate.«
    Au ja, dachte ich und sah die Chance, dem Eintopf-Einerlei für heute zu entkommen. Tatsächlich lotste mich Deva in die Küche und ließ mich an dem großen gemütlichen Holztisch Platz nehmen. Jaron hopste, beglückt über die Gesellschaft, in seinem Laufställchen auf und ab und krähte. Ich hockte mich zu ihm auf den Boden und griff nach einem farbigen Ball, in dessen Innerem ein Glöckchen bimmelte. Der Kleine kreischte vor Vergnügen, als ich ihm das leuchtend bunte Spielzeug zuwarf. Mit beiden Armen schnappte er es sich und strahlte mich an. »Ba…«, sagte er stolz und schüttelte den Ball, der hell bimmelte. Beim Grinsen zeigte er seine ersten vier Zähne. Er war wirklich ein Wonneproppen mit seinen blonden Haaren und den großen braunen Kulleraugen.
    In meinem Kopf klingelte etwas. Bevor ich jedoch den Gedanken zu fassen bekam, der gerade vage aufblitzte, war er bereits wieder verschwunden, wie ein Schnellzug in der Nacht.
    »So, nun iss erst mal etwas«, hörte ich Deva sagen und als ich mich umdrehte, sah ich einen Teller dampfender Nudeln, mit einem Klacks goldgelber Butter und etwas geraspeltem Parmesan, auf dem Tisch stehen. »Lass es dir schmecken, ich sehe später noch mal nach dir«, sagte Zeno. Schnell und zart, sodass ich es kaum spürte, strich er mir über die Wange, ehe er katzengeschmeidig durch die Tür verschwand. Ich sah ihm kurz nach und ein Gefühl des Bedauerns piekste mich irgendwo zwischen Herz und Magen. Dann aber überwog mein Hunger. Ich zog mir einen Stuhl an den Tisch und griff nach der Gabel, die neben dem Teller lag. Dabei tauchte kurz die Frage auf, wieso wir eigentlich immer mit Gemüseeinerlei abgespeist wurden, während es in der Oase offenbar auch andere Sachen zu essen gab. Aber bestimmt waren Nudeln sonst nur für den kleinen Jaron gedacht.
    Ich machte Anstalten, ein paar der gedrehten Dinger aufzuspießen, als sich die Nudeln urplötzlich auf dem Teller zu bewegen schienen. Ich erstarrte mitten in der Bewegung und konnte den Blick nicht von meinem Teller wenden. Das, was einmal Pasta gewesen war, ringelte sich jetzt. Erst dachte ich, es wären Würmer, doch nein: Was ich dort erblickte, waren Haare! Vielmehr Locken, blonde Locken, die träge auf und ab schwappten. Es waren Mias Haare im See … Krampfhaft schloss ich die Augen und atmete tief durch. »Du bildest

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