MoR 02 - Eine Krone aus Gras
Insel wird uns wie ein fauler Apfel in den Schoß fallen.
Das ist für den Augenblick alles, mein Herr und Gebieter. Die Stadt Athen ist Dein und der Hafen Piräus steht Deinen Schiffen jederzeit offen.
Der König mußte bald von Piräus und der durch lange Mauern mit dem Hafen verbundenen Stadt Athen Gebrauch machen. Ende des Monats Quintilis fuhr Archelaos vom Hellespont durch die westliche Ägäis. Seine Flotte bestand aus dreihundert gedeckten Kriegsschiffen mit drei und mehr Ruderreihen, über einhundert zweirudrigen Biremen ohne Deck und fünfzehnhundert mit Truppen und Vorräten beladenen Transportschiffen. Die Küsten der Provinz Asia, die ja bereits in der Hand des Königs war, konnte Archelaos sorglos passieren. Er hatte den Auftrag, die pontische Präsenz in Griechenland zu etablieren, um anschließend Macedonia zwischen zwei pontischen Armeen zertrümmern zu können — seiner eigenen Armee in Griechenland und der Armee des jungen Ariarathes im Osten Macedonias.
Auch der junge Ariarathes hatte den von seinem königlichen Vater vorgegebenen Zeitplan eingehalten. Ende des Monats Quintilis hatte er mit seiner hunderttausend Mann starken Armee den Hellespont überquert und war an der Küste des thrakischen Macedonia auf der von den Römern erbauten Via Egnatia nach Westen marschiert. Niemand stellte sich ihm in den Weg, und so richtete er im küstennahen Abdera und im weiter landeinwärts gelegenen Philippi Militärstützpunkte ein. Dann zog er nach Westen weiter bis zur ersten wichtigeren römischen Stadt Thessalonike, dem Sitz des römischen Statthalters.
Ende des Monats Quintilis wurden die römischen, latinischen und italischen Bürger Bithyniens, der Provinz Asia, Phrygiens und Pisidiens einschließlich der Frauen, Kinder und Sklaven niedergemacht. Mithridates hatte bei seinem dritten und streng geheimen Befehl eine beachtliche Klugheit an den Tag gelegt, indem er mit dessen Durchführung nicht seine eigenen Leute, sondern die jeweiligen örtlichen Verwaltungen der ionischen und dorischen Gemeinden beauftragt hatte. In vielen Gegenden wurde der Erlaß mit Freude zur Kenntnis genommen. Problemlos ließen sich Freiwilligenmilizen zusammenstellen, die nur darauf warteten, die römischen Unterdrücker zu töten. Es gab aber auch Gemeinden, die sich über den Befehl empörten und niemanden fanden, der bereit gewesen wäre, die Römer umzubringen. In Tralles mußte der Ethnarch phrygische Söldner anwerben, die im Auftrag der Stadt das Morden übernahmen. Andere Distrikte folgten diesem Beispiel in der Hoffnung, die Verantwortung so auf Ausländer abwälzen zu können.
An einem einzigen Tag starben achtzigtausend Römer, Latiner und Italiker mitsamt ihren Familien und siebzigtausend Sklaven. Keiner Stadt wurde das Gemetzel erspart, weder Nikomedeia in Bithynien noch Knidos in Karien, noch dem tief im Landesinnern gelegenen Apameia. Niemand wurde verschont, und niemand konnte sich verstecken oder fliehen. Die Angst vor König Mithridates war stärker als jedes menschliche Mitgefühl. Hätte Mithridates seine eigenen Soldaten mit der Durchführung des Massakers beauftragt, man hätte ihm allein die Schuld gegeben. Indem er die griechischen Gemeinden zwang, diese Arbeit für ihn zu übernehmen, sorgte er dafür, daß sie die Schuld mittragen mußten. Die Griechen wußten dies, und plötzlich erschien ihnen ein Leben unter König Mithridates von Pontos nicht viel besser als ein Leben unter römischer Herrschaft, trotz der Steuererlasse.
Viele Römer suchten in den Tempeln Zuflucht, aber sie mußten erleben, daß ihnen dort kein Asyl gewährt wurde. Sie wurden wieder nach draußen geschleppt und ermordet, noch während sie den einen oder anderen Gott um Hilfe anflehten. Manchen Flüchtlingen, die sich angstvoll mit übermenschlicher Kraft an Altäre oder Statuen klammerten, wurden die Hände abgehackt, bevor sie aus den Heiligtümern geschleift und umgebracht wurden.
Der schlimmste Teil des von Mithridates persönlich unterzeichneten Mordbefehls war der Schlußabsatz, nach dem kein Römer, Latiner oder Italiker und kein Sklave eines Römers, Latiners oder Italikers bestattet werden durfte. Die Leichen wurden in unbewohnte Landstriche fernab aller menschlichen Ansiedlungen geschafft und verwesten in Schluchten und trockenen Tälern, auf Berggipfeln und am Meeresgrund. Die Aasfresser in der Luft, auf der Erde und im Wasser hatten in diesem Monat eine reich gedeckte Tafel.
Nur wenige Römer entkamen dem Tod.
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