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MoR 02 - Eine Krone aus Gras

Titel: MoR 02 - Eine Krone aus Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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diese gegen den Senat waren. Das war der einzige Grund. Seit Sulpicius wußte, was Rutilius Rufus aus Smyrna geschrieben hatte, war er wie verwandelt und von Schuldgefühlen gequält. Sein gepeinigter Geist kreiste immer wieder um die eine Tatsache: Ein ausländischer König hatte keinen Unterschied zwischen Römern und Italikern gemacht. Und wenn ein ausländischer König Römer und Italiker über einen Kamm scherte, dann gab es auch in den Augen der übrigen Welt keine Unterschiede.
    Als leidenschaftlicher Patriot und überzeugter Konservativer hatte sich Sulpicius, als der Krieg gegen die Italiker ausbrach, mit ganzem Herzen für die Sache der Römer eingesetzt. Im selben Jahr, als Drusus starb, war er Quästor, und man vertraute ihm immer mehr verantwortungsvolle Aufgaben an, die er bravourös meisterte. Sein Einsatz kostete viele Italiker das Leben. Weil er es gewollt hatte, hatten die Bewohner von Asculum Picentum furchtbarer gelitten, als Barbaren es verdienten. Und jene Tausende kleiner italischer Jungen, die in Pompeius Strabos Triumphzug mitgezogen waren und die man dann ohne Nahrung, Kleidung und Geld vor den Stadttoren Roms ausgesetzt hatte, was nur die überlebten, in deren schwachem Körper ein starker Wille wohnte? Wie konnte Rom sich anmaßen, eine derart furchtbare Strafe über Menschen zu verhängen, die Landsleute waren? Wodurch unterschied sich Rom eigentlich vom König von Pontos? Mithridates’ Absicht zumindest war eindeutig! Er zumindest hatte seine Motive nicht hinter Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit versteckt. Auch Pompeius Strabo hatte das nicht getan. Der Senat hatte scheinheilig gehandelt.
    Was war richtig? Wer war im Recht? Wenn ein italischer Mann, eine italische Frau, ein italisches Kind das Massaker überlebt hatte und nach Rom kam, wie konnte er, Publius Sulpicius Rufus, diesem armen Überlebenden in die Augen sehen? Worin unterschied er, Publius Sulpicius Rufus, sich eigentlich von König Mithridates? Hatte er nicht viele tausend Italiker umgebracht? War er nicht unter Pompeius Strabo Legat gewesen, und hatte nicht er sich mit den Grausamkeiten dieses Mannes einverstanden erklärt?
    Aber Sulpicius konnte trotz seiner Qualen und seiner Verwirrung noch zusammenhängend denken — oder er hielt seine Gedanken zumindest für zusammenhängend, richtig und logisch.
    Eigentlich trug nicht Rom die Schuld, sondern der Senat. Die Männer seiner Klasse, einschließlich seiner Person. Im Senat und nirgendwo sonst waren die Wurzeln der römischen Arroganz zu suchen. Der Senat hatte seinen Freund Marcus Livius Drusus umgebracht. Der Senat hatte nach dem Krieg gegen Hannibal niemandem mehr das römische Bürgerrecht erteilt. Der Senat hatte die Zerstörung von Fregellae genehmigt. Der Senat, der Senat, der Senat... Die Männer seiner Klasse. Und er.
    Nun, sie würden dafür bezahlen müssen. Auch er. Die Zeit des Senats von Rom, so beschloß Sulpicius, war abgelaufen. Es durfte keine alten Herrscherfamilien mehr geben, Macht und Reichtum durften nicht mehr in den Händen von wenigen liegen, denn nur deshalb hatten solche Ungeheuerlichkeiten wie das an den Italikern begangene Unrecht geschehen können. Wir sind schuld, dachte er, und jetzt müssen wir dafür bezahlen. Der Senat muß weg. Rom muß dem Volk übergeben werden, das bisher unter unserer Knute gelebt hat, auch wenn wir noch so sehr betonen, daß das Volk herrscht. Herrschaft des Volkes? Nicht, solange es den Senat gibt! Solange es den Senat gibt, ist die Herrschaft des Volkes eine leere Phrase. Natürlich geht es nicht um die besitzlosen Proletarier. Das Volk, das sind die Männer der zweiten und dritten und vierten Klasse, die den größten Teil der Römer ausmachen und doch am wenigsten Macht haben. Die reichen und mächtigen Ritter der ersten Klasse unterscheiden sich in nichts vom Senat. Deshalb müssen auch sie weg.
    Und deshalb stand er jetzt neben Marius und Cinna. Warum war eigentlich Cinna gegen die Wahl Sullas zum Feldherrn? Was verband ihn auf einmal mit Gaius Marius? Sulpicius blickte auf die dichtgedrängten Reihen der Senatoren ihm gegenüber. Da standen seine guten Freunde Gaius Aurelius Cotta, der mit achtundzwanzig Jahren zum Senator ernannt worden war, weil sich die Zensoren Sullas Worte zu Herzen genommen und versucht hatten, das exklusive Gremium mit tüchtigen Männern zu füllen, und der Konsul Quintus Pompeius Rufus, und neben ihnen die anderen — sahen sie denn ihre Schuld nicht? Warum starrten sie ihn

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