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MoR 02 - Eine Krone aus Gras

Titel: MoR 02 - Eine Krone aus Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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östlichen Pontos versteckte. Lautlos glitt er unter dem grünen Dach des Waldes über versteckte Pfade. Ringsum leuchteten rosa und lila die Rhododendren, aus den Akazien tropfte zähflüssiger Saft, und ständig schienen seine Ohren vom Rauschen eines weißschäumenden Wasserfalls erfüllt. So wuchs er vom Kind zum jungen Mann heran. Seine ersten Frauen waren die Mädchen kleiner, primitiver Dörfer, sein erster Bär überragte ihn um einiges, sein erster Löwe war ein langmähniges, riesiges Ungetüm, das er, eine Reinkarnation des Herkules, mit einer Keule erschlug.
    Die Angehörigen seiner Familie waren großgewachsene Menschen mit germanisch-keltischen Vorfahren aus Thrakien. In ihren Adern floß freilich auch ein Schuß persisches Blut vom Hof (wenn schon nicht von den Lenden) König Darius’, und im Lauf ihrer zweihundertfünfzigjährigen Herrschaft über Pontos hatten sie wiederholt in die syrische Dynastie der Seleukiden eingeheiratet, ein weiteres germanisch-thrakisches Königshaus, das von Seleukos abstammte, einem makedonischen Phalanxkommandeur Alexanders des Großen. Gelegentlich schlug das persische Blut durch, und dann wurde ein schmal gebauter, glatt- und dunkelhäutiger Mithridates geboren. Eupator allerdings war ein echter Germano-Kelte. Er wuchs zu stattlicher Größe heran, bekam so breite Schultern, daß er den Kadaver eines ausgewachsenen Hirsches darauf tragen konnte, und seine Schenkel und Waden waren so kräftig, daß er mühelos die felsigen Gipfel der pontischen Berge erklettern konnte.
    Mit siebzehn fühlte er sich erwachsen genug, um zu handeln. Er sandte seinem Onkel Archelaos eine geheime Botschaft. Archelaos war, wie er wußte, kein Freund von Königin Laodike, seiner Halbschwester und gleichzeitig seiner Herrscherin. Bei etlichen geheimen Zusammenkünften in den Hügeln hinter Sinope, wo die Königin nun ständig lebte, wurde ein Plan entwickelt. Mithridates traf nacheinander alle adligen Anführer, die Archelaos für vertrauenswürdig hielt, und nahm ihnen den Treueeid ab.
    Alles verlief nach Plan. Sinope fiel, weil der Machtkampf innerhalb der Mauern der Stadt ausbrach und die Stadt nicht einmal belagert werden mußte. Die Königin, Chrestos und die Adligen, die treu zu ihnen standen, wurden ohne Blutvergießen gefangengenommen. Wenn Blut floß, dann nur durch das Schwert des Henkers. Mehrere Onkel, Tanten und Basen mußten sofort sterben, Chrestos etwas später, und Königin Laodike als letzte. Braver Sohn, der er war, ließ Mithridates seine Mutter nicht enthaupten, sondern lediglich in ein Verließ unter den Befestigungen von Sinope werfen, und dort — wie konnte das nur passieren? — vergaß jemand, ihr zu essen zu geben, so daß sie verhungerte. Ohne sich des Muttermordes schuldig gemacht zu haben, hatte es der sechste König Mithridates mit noch nicht achtzehn Jahren zum Alleinherrscher gebracht.
    Jetzt war er auf den Geschmack gekommen; er wollte berühmt werden. Pontos sollte mächtiger sein als alle seine Nachbarn, Mithridates wollte die ganze Welt beherrschen. Der Mann, den er in seinem großen silbernen Spiegel sah, war kein gewöhnlicher König. Statt eines Diadems oder einer Tiara trug er ein Löwenfell. Das riesige, mit Reißzähnen bewehrte Maul stülpte er sich über die Stirn, so daß Kopf und Ohren des Tieres seinen Schädel einrahmten, die Pfoten verknotete er vor seiner Brust. Weil er dieselben Haare hatte wie Alexander der Große — goldgelb, dicht und gelockt —, trug er sie auch im selben Stil. Weil er seine Männlichkeit demonstrieren wollte, ein Voll- oder Schnurrbart aber nicht in Frage kam (das hätte der hellenische Geschmack unter gar keinen Umständen zugelassen), ließ er sich vor den Ohren lange, borstige Koteletten wachsen. Was für ein Gegepsatz zu Nikomedes von Bithynien! Mithridates strahlte Männlichkeit aus, seine Sexualität richtete sich ausschließlich auf Frauen, und er war groß, lüstern, furchteinflößend und stark. Dies waren die Eigenschaften, die ihm sein silberner Spiegel zeigte, und damit war er sehr zufrieden.
    Er heiratete seine älteste Schwester, die auch Laodike hieß, und dann heiratete er noch verschiedene andere Frauen, die ihm gefielen, so daß er bald ein Dutzend Ehefrauen und noch wesentlich mehr Konkubinen hatte. Laodike ernannte er zu seiner Königin, aber das galt — wie er ihr oft zu verstehen gab — nur so lange, wie sie treu zu ihm stand. Um seiner Warnung Nachdruck zu verleihen, bestellte er aus Syrien

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