Mord am Mirador (Ein Gomera-Krimi) (German Edition)
wurde schon dunkel und ich hatte keine Lust, wie ein Bekloppter über die gefährliche Straße zu rasen.
Dann geschah aber etwas Seltsames. Kaum waren wir außer Sichtweise des Acueducto, da stellte der Fahrer sowohl die Sirene als auch das Blaulicht aus und verlangsamte sein Tempo auf eine normale Fahrgeschwindigkeit.
Was zum Henker! War der Patient etwa gestorben und es lohnte sich nicht mehr zu rasen? Anders konnte ich mir diese Änderung nicht erklären.
Wir kamen auf die Höhen unterhalb des Garajonay, der höchsten Erhebung Gomeras. Hier fuhren wir durch den Lorbeerwald, in dem sich die Passatwolken immer wieder verfangen. Die Sicht wurde mit einem Mal durch Nebelschwaden eingeschränkt. An einer Abbiegung schob sich ein fremdes Auto vor mich. Ich machte den Scheibenwischer an und kniff meine Augen zusammen, um den Krankenwagen vor mir nicht aus dem Blick zu verlieren.
Der Wagen vor mir war wieder mal ein Tourist und fuhr sehr vorsichtig.
Verflucht! Der Abstand zwischen dem Krankenwagen und mir wuchs zusehends. In einer verwegenen Aktion überholte ich den Touristen an einer halbwegs geraden Strecke. Ein Reisebus kam mir auf der Fahrbahn entgegen. Ich drückte auf das Gas und zog gerade noch an dem Touristen vorbei. Sowohl vom Bus als auch vom Touristen ertönte zorniges Hupen.
Toll! Das sollte doch eigentlich eine diskrete Verfolgungsjagd sein, dachte ich fluchend.
Ich heftete mich wieder an die Fersen des Krankenwagens.
Eigentlich müsste er ins Krankenhaus nach San Sebastian fahren. Doch ganz gegen meine Erwartungen, bog er bald nach rechts ab und wählte die Route nach Alajero. Wo wollte er nur hin?
Es wurde immer dunkler und die ersten Lichter in den fernen Dörfern flackerten wie Glühwürmchen auf. Konzentriert fuhr ich hinter dem Krankenwagen weiter. Er hatte nun seine Scheinwerfer angemacht und seine Rücklichter waren deutlich zu erkennen, wie sie vor mir über die Serpentinen herunter nach Alajero hertanzten, in den Kurven kurz verschwanden und dann wieder auftauchten.
Mit einem Mal wurde mir klar: Der Krankenwagen fuhr nicht zum Krankenhaus, auch nicht auf Umwegen. Der Krankenwagen fuhr direkt zum Flughafen, dem einzigen Flughafen auf Gomera.
Nun machte ich mir wieder Sorgen, ob meine Vordermänner erkennen würden, dass ich sie verfolgte.
Ich bremste ab und fiel deutlich zurück. Am Flughafen blendete ich meine Scheinwerfer ab und suchte einen Ort, an dem ich unauffällig parken könnte. Ich fand einen überwucherten Geröllhaufen aus altem Bauschutt, der abseits der Flughalle lag. Nun musste ich mich durch unwegsames Gestrüpp kämpfen, und da es hier zudem dunkel war, war es ein unbeholfenes Treten und Stolpern.
Bald schlug mir das Herz bis zum Hals und mein Atem brannte in der Lunge.
Ich hielt inne und atmete einen Moment lang durch, dann suchte ich mit meinen Augen den Krankenwagen. Er stand an einer Art Halle, die sich abseits von der eigentlichen Flughalle befand, vermutlich ein Umschlagplatz für Frachtgut.
Frachtgut. Mich fröstelte. Der Mann in dem Krankenwagen war vielleicht vor einer Stunde noch lebendig gewesen. Jetzt war er anscheinend Frachtgut.
In der Dunkelheit konnte man die weißen Kittel der Sanitäter und des Arztes ausmachen. Sie waren aus dem Krankenwagen ausgestiegen und machten sich am Heck zu schaffen. Ich pirschte mich noch näher heran, so nah wie möglich, ohne gesehen zu werden. Da sah ich durch eine Spalte in der Halle, was sich darin abspielte.
Der leblose Körper des „Patienten“ wurde aus dem Wagen herausgezogen. Ein Zinksarg stand bereit. Die Sanitäter hoben den Leichnam in den Zinksarg. Ein Arbeiter im Blaumann tauchte von irgendwo auf und half ihnen, den Deckel auf den Sarg zu setzen.
Nach getaner Arbeit stand die kleine Gruppe noch herum und plauderte. Ein Licht flackerte auf und rote Punkte schwebten in der Luft. Der Duft nach Tabaksqualm zog unter meine Nase.
„Wann geht der raus?“, fragte jemand.
„Gleich morgen früh. Er wird auf Teneriffa umgeladen. Dann -zzt! - ab nach Deutschland.“
„Ab in die Heimat“, sagte eine andere Stimme und lachte. Die anderen Männer lachten mit.
„Ja“, sagte einer, „Diesmal nicht mit dem Luxusflieger. Da gibt es keinen Film, keine süßen Stewardessen und kein Dutyfree.“
Sie lachten noch kräftiger.
Ich hatte genug gehört. Eines war mir klar: den Arzt und die Sanitäter hatte dieser „Patient“ schon von Anfang an nicht mehr gebraucht. Der war mausetot, und sie hatten es schon gleich
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