Mord am Mirador (Ein Gomera-Krimi) (German Edition)
den Boden drückte; das Gefühl, dass etwas geschehen sein könnte, das meine ganze Welt aus dem Lot werfen würde.
Ich seufzte schwer und setzte mich hinter den Lenker meines Lasters. Bis Carlos erschien, saß ich nur da und starrte durch die Windschutzscheibe, ohne dass ich irgendetwas wahrnahm.
Als er dann eingestiegen war, fuhr ich schweigend los. Mir war nicht nach Plauderei.
Carlos ging es anscheinend genauso.
Nach etwa einer halben Stunde fragte ich nur: „Hast du gut geschlafen?“
Carlos nickte.
„Und der Arm?“
„Geht so“, sagte Carlos.
Dann schwiegen wir die restliche Strecke bis San Sebastian.
Nach einer Stunde erreichten wir das Hospital Nuestra Senora de Guadalupe. Das beeindruckende moderne Gebäude mit seiner schlichten grauen Fassade sah nicht sonderlich einladend aus. Seit meinen Erfahrungen als junger Arzt in Deutschland mied ich Krankenhäuser wenn irgend möglich. Am liebsten hätte ich Carlos gesagt: „Geh du mal rein, ich hole dich dann später ab.“ Schließlich war er doch schon groß. Er könnte alleine klarkommen. Aber noch viel wichtiger als sein Arm, war die brennende Frage, ob Anita hier wäre.
Also stellte ich das Auto ab, und wir gingen seit an seit in das Gebäude. Sofort umfingen uns die typischen Gerüche und Geräusche eines Krankenhauses. Es roch nach Desinfektionsmitteln und Sauberkeit. Schwestern eilten zielstrebig in ihren weißen Uniformen vorbei. Ihre Schritte klapperten hart auf dem spiegelblank polierten Boden. Carlos und ich gingen zum Empfang.
Eine sehr effizient aussehende Dame im dunkelblauen Kostüm tippte etwas in einen Computer. An ihren Ohrläppchen klemmten überdimensionierte Ohrclips mit künstlichen Perlen.
Als wir vor ihr standen, tippte sie noch eine Weile weiter, dann sah sie uns über ihre Brille an.
„Dieser junge Mann hat einen Unfall gehabt und muss nachversorgt werden“, sagte ich ihr.
„Zweiter Stock, den Gang hinunter bis zum Ende. Melden Sie sich dort erneut an“, sagte sie wie aus der Pistole geschossen.
Ich sah Carlos aufmunternd an. „Du gehst schon mal vor. Ich komme dann gleich.“
Er fragte: „Und was ist mit...?“
Ich sagte hastig: „Das kläre ich gleich mit der freundlichen Dame hier. Bestimmt kann ich dir gleich Näheres berichten, wenn ich zu dir herauf komme. Du solltest den Doktor nicht warten lassen.“
Ich wartete, bis er mit hängenden Schultern ins Treppenhaus verschwunden war. Dann wandte ich mich an die Dame.
Sie sah mich wieder über die Brille an. „War da noch etwas?“
„Ja. Ich möchte mich nach einer Patientin erkundigen, nach einer Anita Morales. Aus Las Hayas. Sie müsste noch gestern Abend hier eingeliefert worden sein.“
Die Dame runzelte die Stirn. „Ich kann mich nicht an den Namen erinnern, obwohl ich heute früh die Neuzugänge alle registriert habe.“
Mein Herz sank.
„Vielleicht ist er Ihnen nur entfallen. Bitte sehen Sie noch einmal nach.“
„Mir entfällt eigentlich nie etwas“, sagte sie spitz, fing aber an, einige Tasten des Computers zu drücken.
Ich hielt den Atem an und betete heimlich. Die Frau starrte auf den Bildschirm. Dann schüttelte sie ihren Kopf. „Nein. Da ist keine Anita Morales gemeldet. Tut mir Leid.“
„Aha“, sagte ich, „Danke für Ihre Mühe“. Dann wandte ich mich schnell ab und schritt zu einem Fenster. Dort stand ich und starrte vor die Glasscheibe.
Nicht hier.
Das hättest du im Voraus wissen können Jan, sagte ich mir. Die Sache mit dem Krankenhaus hattest du dir doch nur zurechtgelegt, um Carlos zu beruhigen. Du hast doch nie selbst daran geglaubt.
Trotzdem spürte ich, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Es hätte ja doch war sein können, dachte ich rebellisch, sie hätte ja doch hier im Krankenhaus liegen können.
Wo war Anita? War sie etwa – um Himmels Willen – auch in so einem gespenstischen Krankenwagen geholt worden und in einen Zinksarg gelegt worden? Allein die Idee drohte, mich in eine tiefe Verzweiflung zu stürzen.
Mir kam ein Gedanke. Ich kehrte zur Empfangsdame zurück, stellte mich an die Theke und räusperte mich.
„Noch etwas?“ Sie sah ungeduldig zu mir auf.
„Ja. Mich würde interessieren, ob es auf Gomera in der letzten Zeit auffällig viele Noteinsätze in Arure gegeben hat.“
„Guter Mann“, sagte die Frau jetzt kühl, „Sie werden sich doch wohl denken, dass ich Ihnen darüber keine Auskunft geben darf, selbst wenn es so wäre. Ich sage nur so viel: Auf Gomera gibt es nicht mehr
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