Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord am Oxford-Kanal

Mord am Oxford-Kanal

Titel: Mord am Oxford-Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
etwas arg hochtrabend, doch lagen seine Schreibkünste entschieden
über dem Durchschnitt, immerhin verfügte sein Bericht über einen gewissen
Erzählfluß, der den Leser neugierig machte auf Teil II. Eines der
hervorstechendsten Merkmale des Textes, schien Morse, daß offenbar Grays «Elegy
Written in a Country Churchyard» einen starken Einfluß auf den Obersten gehabt
haben mußte. Vermutlich war Deniston auf einer der weniger guten Public Schools
so oft mit dem Gedicht traktiert worden, daß er am Ende dessen reichlich
düstere Sicht des menschlichen Schicksals übernommen hatte.
    Was das Schreiben anging —
oder, genauer gesagt, das Schreiben von Büchern — , so mußte der alte Donavan
(Joannas erster Mann) sich einigermaßen gut ausgekannt haben, dachte Morse,
immerhin hatte er für sein Werk sogar einen Verleger gefunden. Und bis auf die
letzten Jahre seines Lebens schien dieser offenbar doch einigermaßen gebildete
irische Zauberkünstler die Fähigkeit besessen zu haben, an allen möglichen Orten
zwischen Croydon und Burton-on-Trent die Menge anzuziehen... Er mußte das
gewisse Etwas gehabt haben, dieser Mann mit den vielen Begabungen... «Größter
Zauberkünstler der Welt» mochte vielleicht etwas übertrieben gewesen sein, doch
ein klein wenig Größenwahn war vielleicht sogar nötig, wenn man die Masse auf
sich aufmerksam machen wollte.
    «Bertnaghboy Bay?» notierte
Morse auf der Rückseite des Speisezettels. Seine Geographiekenntnisse waren
mehr als spärlich. In der Grundschule hatte man ihn die damals für wesentlich
erachteten Fakten über den Export Argentiniens, Boliviens, Chiles und der
anderen Länder Südamerikas gelehrt, und im Alter von acht Jahren hatte er (mit
Ausnahme von South Dakota) die Hauptstädte sämtlicher amerikanischer
Bundesstaaten auswendig auf sagen können. Aber das war’s dann auch schon.
Nachdem es ihm gelungen war, ein Stipendium für den Besuch eines Gymnasiums zu
erringen, hatte er vor der Wahl zwischen den drei G gestanden: Griechisch,
Geographie, Geschichte, doch tatsächlich hatte er kaum ein Mitspracherecht
gehabt und war mehr oder weniger zufällig in die Griechisch-Klasse gesteckt
worden, wo die Beschäftigung mit Nomina und Verben jede Bekanntschaft mit
irischen Grafschaften ausschloß. Wo mochte — wie war der Name? — Bertnaghboy Bay
hegen?
    Morse empfand es als typisch
für die Launenhaftigkeit des Schicksals, daß ausgerechnet er jetzt Interesse am
Oxford-Kanal entwickelte. Er war sich bewußt, daß es eine Menge Leute gab, für die
das Leben auf einem Boot das höchste der Gefühle war, und hatte auch
Verständnis dafür, daß es vielen Eltern wichtig war, bei ihren Kindern die
Freude am Segeln, Wandern, Haustiere-Halten, Vögel-Beobachten oder was auch
immer zu wecken. Aber Flußboot-Fahren war nach Morses zugegebenermaßen nicht
sehr ausgedehnter Erfahrung auf diesem Gebiet ein doch sehr überschätztes
Vergnügen. Dem Vorschlag eines wirklich sehr netten jungen Pärchens folgend,
hatte er sich vor Jahren einmal dazu bereit erklärt, sich vom Endpunkt des
Oxford-Kanals bei der Hythe Bridge Street zum Plough bei Wolvercote steuern zu
lassen, eine Fahrt von nur wenigen Meilen, die man, so war ihm versichert
worden, in weniger als einer Stunde würde zurücklegen können. Doch dann waren
sie während der Fahrt auf so viele Widrigkeiten gestoßen, daß sie erst fünf
Minuten, bevor der Pub schloß, den Zielpunkt erreicht hatten — und das an einem
glühendheißen Sonntagnachmittag. Eine Katastrophe. Das Flußboot damals hatte
mit mindestens zwei Leuten besetzt sein müssen, einem, um zu steuern, und einem
zweiten, der aufs Ufer sprang, sobald eine Schleuse zu passieren war oder das,
was im Führer euphemistisch als «entzückende kleine Zugbrücke» bezeichnet
worden war. Joannas Kahn hatte vier Mann an Bord gehabt — mit ihr waren sie
sogar zu fünft gewesen. Sie mußten sich sehr eng auf der Pelle gesessen haben
auf dieser langen und sehr einsamen Fahrt, denn das Pferd, das sie den
Treidelpfad entlang zog, war vermutlich nicht das feurigste gewesen. Zu eng und
zu langsam, dachte Morse. Nachdenklich wiegte er den Kopf, allmählich gewann er
ein Bild, wie sie an Bord miteinander gelebt hatten... Mit dem Zug wäre es
natürlich wesentlich schneller gegangen, und der Fahrpreis von sechzehn
Shilling elf Pence schien ihm für einen Passagier auf einem Lastschiff auch
nicht gerade preiswert. Schließlich schrieb man 1859! Wieviel wohl die
Bahnfahrt

Weitere Kostenlose Bücher