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Mord am Oxford-Kanal

Mord am Oxford-Kanal

Titel: Mord am Oxford-Kanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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bereits
überschritten, und bis zu seinem Tod im Jahre 1858 wissen wir von keinen weiteren
Auftritten mehr. Er starb kinderlos und verbittert, während er zusammen mit
einem Freund in seiner Heimat Irland Ferien machte. Sein Grab liegt auf einem
Friedhof über der Bucht von Bertnaghboy Bay. Kurze Zeit nach seinem Tod traf
seine Witwe Joanna einen gewissen Charles Franks, einen Pferdeknecht aus
Liverpool, verliebte sich in ihn und heiratete ihn.
    Auch mit ihrem zweiten Mann
scheint Joanna sich gut verstanden zu haben, und dies, obwohl die Zeiten hart
und das Geld knapp waren. Immerhin gelang es ihr, bei einer gewissen Mrs.
Russell in Liverpool, Runcorn Terrace34, eine Anstellung als Schneiderin und
Vorführmodell zu bekommen. Franks dagegen hatte keinen Erfolg bei seiner
Arbeitssuche und entschloß sich deshalb, sein Glück in London zu versuchen.
Tatsächlich sollten sich hier seine Erwartungen auch sofort erfüllen, er wurde
im Frühjahr 1859 im vielbesuchten George & Dragon Inn an der Edgware
Road als Hausknecht eingestellt. Ende Mai desselben Jahres schickte er seiner
Frau eine Guinee (das war alles, was er erübrigen konnte) und bat sie, ihm so
schnell wie möglich nach London zu folgen.
    Am Morgen des 11. Juni, einem
Samstag, verabschiedete sich Joanna Franks in Runcorn Terrace von Mrs. Russell.
Sie hatte nur zwei kleine Kisten bei sich und wollte auf dem Wasserweg von
Liverpool nach Preston Brook fahren, dem nördlichen Endpunkt des
Trent-und-Mersey-Kanals, der acht Jahre zuvor eröffnet worden war. Von hier aus
nahm sie eines der Expreß- bzw. 1 von Pickford & Co., die nach
Stoke-on-Trent und Fradley Junction fuhren und von dort aus durch die Kanäle
von Coventry und Oxford bis zur Themse und nach London. Der Fahrpreis von
sechzehn Shilling und elf Pennies war erheblich billiger als der Preis für eine
Fahrkarte Liverpool-London mit der Eisenbahn. Die Linie nach Norden bestand
damals bereits seit etwas mehr als zwanzig Jahren.
    Joanna war eine sehr zierliche
und attraktive Erscheinung. Sie trug bei ihrem Aufbruch ein dunkelblaues Kleid
und eine gemusterte seidene Haube mit einem hellrosa Band. Um den Hals hatte
sie ein weißes Tuch geschlungen. Ihre Kleidung war vermutlich nicht neu, aber
durchaus von guter Qualität, und Joanna muß sehr adrett ausgesehen haben und
wohl auch sehr verführerisch, wie wir bald erfahren werden.
    Der Kapitän der Barbara
Bray, so hieß der Kahn, auf dem Joanna als Passagier mitfuhr, war ein
gewisser Jack «Rory» Oldfield aus Coventry. Laut späteren Zeugenaussagen von
Bootsleuten und anderen, die ihn kannten, war er im Grunde ein gutmütiger
Bursche, der allerdings bisweilen etwas rauhe Umgangsformen hatte. Er war
zweiundvierzig Jahre alt und verheiratet. Die Ehe war kinderlos. Der zweite
Mann an Bord war ein gewisser Alfred Musson alias Alfred Brotherton, dreißig
Jahre alt, ein hochgewachsener, fast mager zu nennender Mann, verheiratet, zwei
Kinder. Weitere Mitglieder der Mannschaft waren Walter Towns alias Walter
Thorold, sechsundzwanzig Jahre alt, Sohn eines Landarbeiters, der vor zehn
Jahren seine Heimatstadt Banbury in Oxfordshire verlassen hatte und weder lesen
noch schreiben konnte, sowie ein junger Bursche namens Thomas Wootton, von dem
wir nichts weiter wissen, als daß seine Eltern wahrscheinlich aus Ilkeston in
Derbyshire stammten.
    Die Barbara Bray verließ
Breston Brook am Samstag gegen halb acht Uhr abends, durchfuhr ohne weitere
Zwischenfälle die Schleusen bei Fradley Junction am nördlichen Ende des
Mersey-Kanals, erreichte eine Woche später, am Sonntag, dem 19. Juni, um zehn
Uhr abends den nördlichen Teil des Coventry-Kanals und steuerte von da an auf
fast genau südlichem Kurs Richtung Oxford. Sie waren überraschend schnell
weitergekommen, und nichts deutete zu diesem Zeitpunkt darauf hin, daß der
einzige Passagier an Bord, Joanna Franks, nur noch einige wenige Tage zu leben
hatte.
     
     
     

Kapitel 8
     
    Stil
ist das Zeichen eines Temperaments, das sich dem zugrundeliegenden Material
eingeprägt hat.
     
    André
Maurois, Die Kunst des Schreibens
     
     
    Morse legte das Büchlein
beiseite. Er hatte mehrere Fragen, zum Teil Kleinigkeiten, aber nicht nur. Da
er die Seiten nicht durch Randbemerkungen verunzieren wollte, notierte er sich
ein paar der Fragen auf der Rückseite des Speisezettels, der täglich im
Krankenhaus verteilt und versehentlich auf seinem Nachttisch liegengeblieben
war.
    Der Stil des Obersten war zwar
bisweilen

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