Mord am Vesuv
waren. Statt in einem Stadthaus im Zentrum Baiaes wohnten sie in einer Villa an der Verbindungsstraße zwischen Cumae und Baiae, nur etwa fünf Meilen von der Villa Hortensia entfernt.
Unzählige Öllampen und Fackeln ließen die Straße in hellem Glanz erstrahlen, Sänger und Musikanten unterhielten die ankommenden Gäste. Und damit sich auch auf der letzten Viertelmeile zum Haus niemand langweilen musste, jagten als Satyrn verkleidete Männer als Nymphen verkleidete Frauen - im Klartext also unbekleidete Frauen - durch das Gebüsch neben der Straße.
»Seht nur!«, rief Antonia entzückt und deutete auf einen besonders ansehnlichen Satyr. »Hoffentlich fängt er eine Nymphe! Das würde ich wirklich zu gerne sehen.«
Julia blinzelte, um den behaarten, gehörnten Begleiter des Dionysos besser erkennen zu können. »Er ist doch bestimmt nicht echt, oder?«
Leider hatten wir keine Gelegenheit, es herauszufinden, denn wir erreichten die Villa, bevor der Satyr die wieselflinke Nymphe zu fassen bekam.
Norbanus und Rutilia begrüßten uns überschwänglich, wobei sie es mit ihrer gekünstelten Unterwürfigkeit ein wenig übertrieben. Rutilia trug auch an diesem Abend ein koisches Schleiergewand, diesmal jedoch ein anderes, das nicht nur durchsichtig, sondern praktisch unsichtbar war. Dem Brauch der Region entsprechend eilten Sklaven herbei und schmückten uns mit Girlanden und üppigen Blumenkränzen. Danach besprenkelten sie unsere Hände und unser Haar mit parfümiertem Wasser und servierten uns große Schalen gewässerten Weines, in dem zu meiner großen Überraschung Eisstückchen schwammen.
»Wie kommt ihr denn in dieser Jahreszeit an Eis?«, fragte ich neugierig.
»Wir holen es im Winter aus den Bergen«, erklärte Norbanus.
»Es gibt da oben Seen, die zufrieren. Wir zersägen das Eis in Blöcke, umwickeln diese mit Stroh und transportieren sie auf Wagen nach unten. Hier verpacken wir die Eisblöcke dann mit noch mehr Stroh und bringen sie in Höhlen, die wir extra zu diesem Zweck in die Felshänge gehauen haben. So schmilzt das Eis nur sehr langsam und hält normalerweise bis zum Ende des Sommers. Die meisten der größeren Landhäuser haben eigene Eishöhlen.«
»In Kampanien stößt man doch tatsächlich immer wieder auf neue Beweise eines dekadenten Lebensstils«, stellte ich fest.
»Ob ich mich nach meinem Aufenthalt hier je wieder an ein anderes Leben gewöhnen kann?«
Rutilia lächelte. »Hoffentlich nicht. Ein bisschen Extravaganz würde auch Rom ganz gut tun. Erst recht, wenn wir dieses Jahr überstanden haben.« Sie spielte darauf an, dass zurzeit gerade der alle fünf Jahre stattfindende Bürger-Census durchgeführt wurde, was nichts anderes hieß, als dass zwei verknöcherte, alte, mit Argusaugen ausgestattete Senatoren versuchten, die öffentliche Moral wieder auf Zack zu bringen. In diesem Jahr hatte es einer der Censoren, ein gewisser Appius Claudius, darauf abgesehen, unwürdige Mitglieder von der Liste der Senatoren zu streichen, wobei er ein besonderes Augenmerk auf diejenigen geworfen hatte, die ihr gesamtes Vermögen verprasst und sich stark verschuldet hatten. Für ihn war die chronische Verschuldung der herrschenden Klasse Roms das größte Übel unserer Zeit. Außerdem ahndete er jeden Verstoß gegen die geltenden Luxusgesetze und ging gegen jeden vor, der sich in der Öffentlichkeit in Seide hüllte, mehr Ringe pro Finger trug als gesetzlich erlaubt war, zu viel Geld für Hochzeiten oder Bestattungsfeiern ausgab oder auf andere Weise das Fortbestehen der Republik gefährdete.
Einige meiner Zeitgenossen führen die viel gepriesene Tugendhaftigkeit und den Erfolg unserer Vorfahren auf deren einfachen und schlichten Lebensstil zurück. Sie behaupten, wir seien durch Annehmlichkeiten wie weiche Betten, heiße Bäder, griechische Komödien und gutes Essen verdorben worden, und wenn wir wieder in einfachen Hütten wohnten, auf dem nackten Boden schliefen und uns von grobkörniger Gerste und Hartkäse ernährten, könnten wir auch die Tugendhaftigkeit unserer Vorfahren zurückerlangen. Doch die Männer, die uns so etwas weismachen wollen, sind in meinen Augen absolut unzurechnungsfähig. Unsere Vorfahren haben ein einfaches Leben geführt, weil sie arm waren. Und ich für meinen Teil habe nicht die geringste Lust, arm zu sein.
»Kommt rein!«, forderte Rutilia uns auf. »Ich stelle euch die anderen Gäste vor. Einige kennt ihr sicher schon.«
Womit sie durchaus Recht hatte. Wir
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