Mord am Vesuv
absurden Vorschlägen …«
»Bin ich«, beruhigte ich sie.
»Na gut. Angenommen, sie hat wirklich nach ›Zarathustras Ver-zückung‹ gerochen - und ich glaube kaum, dass du dich geirrt hast -, dann könnte ich mir vorstellen, dass derjenige, bei dem sie Schutz gesucht hat, sie bei ihrer Ankunft als Erstes gebadet hat. Möglicherweise war das Ba-deöl parfümiert oder auch die Salbe, mit der man ihre Wunden behandelt hat. Wie den meisten kostbaren Düften schreibt man auch ›Zarathustras Verzückung‹ heilende Wirkung zu.«
»Hast du je gehört, dass so ein teures Parfüm für eine Sklavin verschwendet wird?«
»Vergiss nicht, dass wir in Baiae sind. Vielleicht war im Haus ihres Beschützers gerade nichts anderes zur Hand.«
»Da könntest du Recht haben. Und was ist mit dem Pferdegeruch?«
»Vielleicht hatte sie sich in einem Stall versteckt. Oder vielleicht ist sie auch geritten?«
»In ihrem Zustand? Kannst du dir das vorstellen?«
»Wieso nicht? Wir wissen doch, dass sie unglaublich zäh war.
Allein schon, dass sie diese furchtbare Auspeitschung überlebt und es geschafft hat zu fliehen! Da hätte sie einen Ritt wohl auch noch überstanden, wenn auch unter Schmerzen.«
Ich dachte angestrengt nach und versuchte, sämtliche Fakten in ein schlüssiges Szenario einzuordnen, in eine nachvollziehbare und möglichst logische Abfolge der Ereignisse, die alles, oder wenigstens fast alles erklärte. Ich nenne diese Vorgehensweise »ein Modell erstellen«, wohingegen Julia in ihrer hochnäsigen patrizischen Art sich lieber der griechischen Sprache bedient und von einem »Paradigma« spricht.
»Also gut«, sagte ich nach einer Weile, »versuchen wir es mal mit folgendem Szenario: Mit Hilfe ihrer Freundin Gaia gelingt Charmian die Flucht aus dem Tempel. Irgendwie schafft sie es, trotz ihrer Verletzungen nach Baiae zu kommen.«
»Sie muss auf jeden Fall durch eines der Stadttore gekommen sein«, überlegte Julia laut. »Wahrscheinlich durch das Tor, das man passiert, wenn man aus Cumae kommt.«
»Ein guter Hinweis. Dem werde ich sofort nachgehen.
Vielleicht hat sie ja jemand kommen sehen, obwohl ich das bezweifle, wenn ich daran denke, was die städtischen Wachen für Armleuchter sind. Die Gallier könnten problemlos in die Stadt spazieren, ohne diese Trottel auch nur aufzuwecken. Sie ist also ungehindert durch eines des Tore gekommen und hat das Haus ihres Beschützerfreundes aufgesucht, oder wie auch immer man ihn nennen will. Sie wird dort aufgenommen, gebadet, verarztet und neu eingekleidet.«
»Möglicherweise hat ihr Gastgeber sie aber als eine Belastung angesehen«, spann Julia den Faden weiter. »Warum, wissen wir nicht. Vielleicht wusste sie zu viel, vielleicht konnte er es sich nicht leisten, sie in seinem Haus zu verstecken. Also erzählt er ihr, dass er sie an einem sichereren Ort unterbringen wird.«
»Er setzt sie auf ein Pferd«, spekulierte ich weiter, »und reitet mit ihr aus der Stadt. Doch nur bis zur öffentlichen Waschstelle, wo er sie umbringt, ihr die belastenden Kleidungsstücke auszieht und sich aus dem Staub macht, wahrscheinlich zurück in die Stadt.«
»So könnte es sich abgespielt haben«, sagte Julia, »doch das Szenario lässt zu vieles unerklärt. Warum hat er sie gleich umgebracht? Warum hat er die Leiche so eigentümlich drapiert?
Und warum ist das Mädchen davon ausgegangen, dass er sie beschützen würde?«
»Im Vergleich zu ihrem Dasein bei Diocles wäre jede Zuflucht eine Verbesserung gewesen«, entgegnete ich. »Und was die Ermordung und die Lage der Leiche angeht - vielleicht hat Cicero Recht, und der Täter ist wirklich verrückt.«
»Das ist mir eine zu einfache Erklärung für die Dinge, die wir nicht auf den ersten Blick verstehen«, wandte sie ein. »Mit Verrücktheit kann man alles erklären. Ich glaube eher, dass der Mörder für jedes dieser uns unerklärlich scheinenden Details einen guten Grund hatte, den wir eben leider nicht kennen.«
»Wahrscheinlich hast du Recht«, räumte ich ein.
Pünktlich zum Abendessen trudelten Antonia und Circe ein, beide in Begleitung ihres umfangreichen Personals und Gepäcks.
»Das ist die unterhaltsamste Reise, die ich je gemacht habe!«, rief Circe aufgekratzt, als sie in die Kolonnaden gestürmt kam.
»Geheimnisvolle Morde an seltsamen Schauplätzen, blutige Überfälle auf offener Straße! Unsere Freundinnen werden uns beneiden!«
»Ihr werdet wirklich eine Menge zu erzählen haben, wenn wir zu den Wahlen alle
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