Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
narrte mich ein Trugbild? War mein geliebter Fred so bullig, so stiernackig, so fett? Hatte er so einen schwankenden Seemannsgang? Vierzig-Mann-auf-des-toten-Mannes-Kiste-und-’ne-Buddel-voll-Rum?!
Nein. Er war es nicht.
Es war bloß der Kapitän, der sich meiner Wenigkeit auf der Bühne näherte. Was hatte Fred Hahn über ihn gesagt? »Arschloch« war noch der mildeste Ausdruck für ihn gewesen.
»Sie singen ja ganz anständig, junge Frau!«
»Danke«, sagte ich kühl. Freds Feinde waren auch meine Feinde.
Der Feind reichte mir die Hand, und ich wollte sie distanziert schütteln, aber er führte sie zum Munde und küßte sie.
»Oh«, sagte ich süßlich. »Charmant!«
Der Käpt’n, ein wirklich bulliger Kerl mit versoffener Nase und schlechten Zähnen, grinste mich an und sagte: »Ich sehe Sie dann heute abend beim Käpt’ns-Dinner.«
So, dachte ich. Tun Sie das. Dann müssen Sie mich erst mal einladen, Sie Rotzlöffel!
Aber meine Lippen sprachen: »Ich bin entzückt, Herr Kapitän!« Und der Schweiß des positiven Stresses rann mir den Rücken runter. Wie ich aus meinen Weiterbildungsseminaren aus dem Rusch-Verlag erfahren hatte, war positiver Streß »Eustreß«, und er setzte neue Energien frei. Das passierte mir hier auf dem Schiff ständig.
Der Käpt’n grüßte zackig, nahm Haltung an und machte kehrt. Die Stewardessen und philippinischen Putzmänner verbeugten sich, als ginge Queen Elizabeth an ihnen vorbei. Wahrscheinlich hielt sich dieser Hans-Dieter Schulz für Fürst Rainier. Ich kicherte unverhohlen.
»So, da sitzt unsere Kammersängerin heute abend schon am Käpt’ns-Tisch“, ließ sich Klara-Viktoria säuerlich vernehmen.
Ach, liebste Klara-Viktoria, ich SCHENK ihn dir! wollte ich rufen. Und alle Leicht- und Schwermatrosen dieses Schiffs, du kriegst sie alle, ich will nur den EINEN, dem mein Herz gehört!
Aber natürlich gingen Klara-Viktoria meine Gefühle nichts an, und ich sah nicht ein, daß ich mich bei ihr entschuldigen sollte, nur weil der dicke alte Käpt’n MICH eingeladen hatte und nicht sie.
»Bestimmt lädt er dich auch noch ein, Kollegin!« sagte ich huldvoll von meiner Bühne herunter.
Lars-Dars klimperte schon wieder erwartungsvoll auf seinem Flügel herum.
»Los, laß uns proben, gleich fängt die Bingo-Stunde an, dann müssen wir hier raus!«
»Ich BIN bereits eingeladen.« Klara-Viktoria zog einen Taschenspiegel heraus und reparierte die Locke über ihrem linken Auge. »Heute zur Cocktailstunde empfängt der Kapitän im ›Erzherzogin-Charlotte-Palais‹ auf dem Neunerdeck ALLE Künstler!«
»Oh«, sagte ich, »also auch mich?!«
»Klar«, sagte Lars-Dars. »Wir sollten ihm eine Kostprobe geben, was meint ihr?«
Ich überlegte.
»Aber MEINE Songs singst du beim Käpt’n nicht!« zeterte Klara-Viktoria.
Nein, das hätte ich auch unfair gefunden. Schlimm genug, daß ich ihre große Abendshow übernommen hatte.
»Ich hab eine Superidee!« entfuhr es mir. Und dann erzählte ich Klara-Viktoria und Lars-Dars von meinem genialen Plan, aus allen Künstlern an Bord einen Chor zu bilden.
»Da wird der Kreuzfahrtdirektor beim Kapitän sofort einen Stein im Brett haben!« sagte ich enthusiastisch.
»Ob der eine Arsch beim anderen Arsch einen Stein im Brett hat, ist mir egal«, maulte Klara-Viktoria. »Aber der Gedanke an sich hört sich interessant an!« Sie fühlte sich natürlich jetzt unterfordert und wollte unbedingt auch noch mal auf die große Bühne. Und wenn es nur im Chor war.
»Also, was ist?« Aufgeregt zupfte ich an Lars-Dars’ Arm. »Bist du dabei?«
Lars-Dars warf einen fragenden Blick auf seine Domina.
»Wenn du trotzdem noch Zeit für die Landgänge hast, kannst du mitmachen«, erlaubte diese großzügig.
Landgänge! Natürlich! Wir würden ja heute mittag in Darwin anlegen!
Keine Zeit, keine Zeit!! Ich mußte sofort Rüdiger dazu bewegen, mir die besten Chorstücke zu faxen! Wie spät war es denn jetzt in Deutschland?
Drei Uhr morgens.
Egal! Ich MUSSTE ihm ein Fax schicken!
Den Rest der Probe konnte ich an nichts anderes mehr denken. Ich würde einen bombastischen Chor gründen, hier an Bord der »MS Blaublut«, aus Künstlern und Passagieren! So etwas hatte die »Blaublut« noch nie erlebt, und man würde noch Generationen später davon sprechen.
Und Fred Hahn würde mir für den Rest seines Lebens dankbar sein.
»Lieber Rüdiger“, kritzelte ich auf feinstes Büttenpapier mit dem Emblem der »MS Blaublut«, »bitte fax mir umgehend
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