Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
ALLE Noten, die Du für ein gemischtes Chorkonzert für geeignet hältst! Ich gründe hier einen Chor! Es geht mir super, habe schon zwei tolle Auftritte gehabt, alle hier sind nett, der Kreuzfahrtdirektor hat gesagt, ich hätte eine phantastische Stimme! Jetzt will ich auch noch zeigen, daß ich dirigieren kann! Bitte, Rüdiger, mach Dir die Mühe! Alle Fax-Nummern stehen auf dem Briefkopf! Ich warte voller Ungeduld!! In Liebe und Treue – Deine Burkharda“
Das mit der Liebe und Treue war keineswegs gelogen. Schließlich war nichts Erwähnenswertes vorgefallen. Der Kreuzfahrtdirektor war ohne zu grüßen in einen murmeltierhaften Schlaf gefallen. Und ich war gegangen. Vollständig bekleidet, bis auf die Schuhe, die vermutlich immer noch in der Bar »Zum eitlen Fratz“ unter dem Flügel lagen.
Ich gab meinen Schrieb bei der Rezeption ab.
»Bitte rufen Sie DIESE Nummer an und faxen Sie das umgehend nach Geilenkirchen!«
»Beides? Anrufen und faxen?« Der Zahlmeister, der auch über zwei Streifen verfügte, schaute mich fragend an.
»Ja, beides! Ich erwarte umgehend den Rückruf auf meiner Kabine!«
»Sicher?«
»Ja, Mann! Machen Sie schon! Das ist wahnsinnig wichtig und sehr, sehr eilig!!«
Ich rannte davon. Was sollte ich jetzt machen?
Schlafen konnte ich nicht.
Essen konnte ich nichts.
An Land gehen konnte ich nicht.
Schließlich erwartete ich ab sofort Stapel von Noten, die Rüdiger mir faxen würde!
Ich rannte wie ein Tiger im Käfig in meiner Kabine herum. Zwischendurch ergoß ich meinen inneren Streß in mein Tagebuch. Seitenweise. Papier ist geduldig.
Das Telefon läutete.
»Ja?!« Rüdiger?!
»Hier ist der Ulrichch, du! Ja Wahnsinn, du! Kchommst du mit
mir an Land, du? Das ist ein Wahnsinns-Land, Australien, du, ich sage dir, diese Eingeborenen, du, unglaublich, und diese Känguruhs, du, die haben eine Power, genau wie du, du, ich sage dir, du, ein Wahnsinn, du ...«
»Ulrich, ich kann nicht!«
»Warum nicht, du?«
»Ich warte auf ein wichtiges Fax! Bitte laß mich jetzt, ich muß arbeiten!«
»Du machst mich wahnsinnig unglücklichch, du!«
Geh allein zu deinen Eingeborenen und zu deinen Känguruhs! Ich hab Wichtigeres zu tun!
Ich legte den Hörer auf.
Wieder wanderte ich auf und ab, auf und ab. Ruf an, Rüdiger, ruf an! Ich muß die Noten kopieren, vorbereiten, zusammenstreichen, ein Programm erstellen, jedem Chormitglied eine Kopie in die Kabine bringen und einen Probenplan erstellen. Meine Güte, ich habe keine Sekunde Zeit übrig!
Das Telefon klingelte.
Rüdiger!
»Ja?!«
»Fred hier.«
Plumps. Ich sank auf das Bett, meine Schläfen hämmerten. Wenn er jetzt mit mir an Land gehen wollte, zu den Eingeborenen und zu den Känguruhs, dann würde die Sache mit den Noten auch noch ein bißchen Zeit haben.
Ich hatte Herzklopfen, wie ich es nie zuvor gehabt hatte!
»Ja?!«
»Ich wollte nur sagen, es tut mir leid wegen gestern.«
Ich saß wie erschlagen auf meinem Bett. Hämmer, hämmer, hämmer, meißelten meine Schläfen Schmerz in meine Seele.
»Es tut dir LEID?!«
»Ja, daß ich dich belästigt habe. Sorry. Wird nicht wieder vorkommen.«
Du hast mich nicht belästigt, Mann! Du hast mich wahnsinnig glücklich gemacht!! Ich kann an nichts anderes mehr denken als an dich, wie du so schutz- und wehrlos in deinem völlig streifenlosen T-Shirt und den unkleidsamen Bermudashorts auf deiner Bettkante gesessen hast und mir dein Scherzvideo vorgeführt hast! O Mann, ich bin verrückt nach dir, kann weder hören noch sehn, nur stöhnen in meinen Wehn!
»Ist schon gut«, hörte ich mich sagen.
»Also dann ...« Es knackte. Er hatte AUFGELEGT!!
Nein. Ich fühlte deutlich dieses Schiff sinken. Obwohl es im Hafen lag.
Ich saß auf meinem Bett und starrte durch das Bullauge. Draußen am Kai liefen Leute hin und her, aufgeregte, hektische Gestalten, Touristen, Einheimische. Die Reiseleiter hielten runde Schilder hoch: Bus eins, Bus zwei, Bus drei. Die dicke Klara-Viktoria hielt auch so ein Schild hoch. Sie hatte sich sämtliche Landgänge auf diese Weise gratis erschlichen, als Busbegleiterin! Na, sie hatte ja auch sonst nichts zu tun. Schäferhunde vom Zoll bellten an zu kurzen Leinen, Uniformierte hetzten hin und her, Händler boten ihre Waren feil, Touristen drängelten sich um die Busse, Fotografen gruppierten die Leute auf der Schiffstreppe, Welcome to Darwin ...
Und ich saß wie tot auf meinem Bett und rührte mich nicht.
Er hatte aufgelegt!
Er hatte mich abgehakt!
Ich gehe
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