Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
trank ich den Apfelsaft.
»Dein Film ist wirklich genial!«
»Dein Film – ist – wirklich – ge-ni-al!«
Da äffte er mich schon wieder nach! Statt dankbar zu sein für die moralische Aufmunterung, die ich ihm gab!
»Weißt du, was mich der Film für Arbeit gekostet hat?« fuhr er mich an. »Stunden und Aberstunden! Ich bin auf allen vieren gekrochen, ich habe mir den Arsch verrenkt, weil ich unter dem Buffet gelegen habe mit meiner schweren Kamera oder in stickigen Umkleidekabinen, und im Beiboot, bei dieser Szene, da lag ich sogar hinter den Rettungswesten im Gepäcknetz! Nur, um ein paar Sekunden zu filmen!«
»Ich wußte nicht, daß du Kameramann bist«, wandte ich schüchtern ein.
»Ja, das bin ich, aus Berufung, ich habe Dokumentarfilme in der ganzen Welt gemacht, aber kein Sender will sie kaufen, und jetzt schlage ich mich mit so einem geistlosen Schwachsinn herum, indem ich fette Passagiere beim Nasebohren filme ...!«
Der arme, wunderbare, hochsensible, künstlerisch verkannte Mann. Wie dankbar konnte ich sein, daß er mir das alles anvertraute!
»Aber das wird der Renner werden, wirst sehen!« tröstete ich ihn, während ich ihm den Nacken kraulte. »Die Passagiere werden jubeln! Besser als jede Show!«
»Ich darf nicht!« schmollte Fred.
»Du DARFST nicht? Du darfst diesen wundervollen Film nicht zeigen? Wer kann dir das verbieten?«
»Der Kapitän, dieses Arschloch«, sagte Fred.
O je. Da hatte ich wohl in ein Wespennest gestochen. Dabei wollte ich doch nur lieb zu diesem Mann sein, ihm eine unvergeßliche Nacht bescheren. Und nun wühlte ich seine verletzliche Seele auf, nachts um vier.
Das war wirklich ungeschickt von mir.
Aber Fred war nicht mehr von diesem Thema abzubringen.
Der Kapitän, nach Freds Schilderungen ein mieses, bulliges, ungebildetes Schwein namens Hans-Dieter Schulz, der keine Ahnung von der Nautik und erst recht keine Ahnung von Menschenführung habe, erlaubte seinem direkten Untergebenen nicht, die Passagiere öffentlich zu verunglimpfen. Die Reederei sei von seinen Plänen unterrichtet worden. Der Film sei vom Unterhaltungsprogramm gestrichen.
»Das bedeutet nicht nur, daß ich jetzt die Arschkarte habe«, sagte Fred sauer. »Das bedeutet auch, daß ich noch einen Abend füllen muß mit irgendeiner Show, die ich mir aus den Fingern saugen darf!
»Ich helf dir!« sprudelte es aus mir heraus. »Ich stell dir noch einen gigantischen Abend auf die Beine! Der Kapitän wird Augen machen!«
»Aber keinen Klassik-Scheiß«, sagte Fred. »Verschon mich mit deinen Schubert-Liedern.«
»Nein, ich weiß was viel Besseres!« Wozu war ich seit zehn Jahren im Gemeindechorwesen tätig? Ich würde einen Chor gründen aus allen Sängern und Künstlern hier an Bord, und ich würde mit ihnen ein superattraktives Programm einstudieren, für gemischten Chor a cappella, das würde alle Beteiligten vom Hocker reißen und das Publikum natürlich auch.
Ich trug Fred meinen Plan voller Eifer vor.
»Und woher willst du die Noten kriegen?«
Er hatte recht. In Australien gab es vermutlich kein »Musikhaus Tonger«, das ein ganzes Regal voll »Musik in der Schule, Band drei« mit Werken wie »Kommt, ihr G’spielen, wir woll’n uns kühlen« und »Wenn alle Brünnlein fließen« und »Der Gutzgauch auf dem Zaune saß« parat hatte.
»Ich lasse Rüdiger sie faxen!«
»Wer ist Rüdiger?!«
»Mein Mann!«
»Einen Mann hat die Dame also auch!«
»Na und?« schnaubte ich. »Ist das verboten?«
Fred grinste spöttisch auf mich herunter. »Nein«, sagte er mit widerlicher Ironie, »wieso sollte eine monogame, treue Ehe verboten sein?!«
Ganz klar. Ich hatte den armen Mann verletzt. Er sah in mir die Frau seiner Träume, und ich knallte ihm so ganz nebenbei an den Kopf, daß ich verheiratet war. Aber erst, nachdem ich mit ihm im Doppelbett lag und ihm den Nacken kraulte. Das war nicht fair. Ich hatte ihn schon wieder in seiner weichen Seele verletzt.
»Du mußt jetzt gehen«, sagte Fred.
»Ja«, sagte ich und blieb sitzen.
Fred wickelte sich in seine Decke, drehte sich auf die Seite und schlief ein.
Ich betrachtete sein Profil noch lange.
Was für ein Mann.
Irgendwann in den frühen Morgenstunden rappelte ich mich auf und schlich davon.
Als ich barfuß und im Abendkleid an der Rezeption vorbeikam, fing ich den Blick der diensthabenden Tussi auf. Es war genau wieder halb sechs, wie gestern.
Ich ging »auf Kabine«, warf das Abendkleid aufs Bett und zog mir den Fitneßdreß an. Dann
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