Mord hat keine Tränen: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
dann einen Toten in meinem Wohnzimmer zurücklassen? Er muss doch gewusst haben, dass die Polizei kommt und alles absucht, wie Sie es getan haben. Nein, nein, da sind Sie ganz sicher auf dem Holzweg. Trotzdem, ich wünsche Ihnen viel Glück bei der Suche.«
»Ich danke Ihnen, Mr. Bickerstaffe«, erwiderte Jess mit schiefem Grinsen. Er hatte ein höchst stichhaltiges Argument geliefert, keine Frage. Der Alkohol hatte ihm noch nicht das Gehirn zerfressen. Seine nächsten Worte waren der Beweis:
»Sie glauben, es handelt sich um Mord?«
»Allerdings, Mr. Bickerstaffe, wenn Sie mich so fragen. Wir glauben, es handelt sich um Mord. Wir wissen die Todesursache noch nicht, deswegen ist es noch nicht offiziell, und wir behandeln die Angelegenheit als ungeklärten Todesfall. Aber es deutet alles daraufhin, dass es Mord war.«
»Das wird Bridget aber gar nicht passen«, sagte Monty mit Genugtuung in der Stimme.
Jess war nicht damit gedient, wenn Monty seine Nichte Bridget so gegen sich aufbrachte, dass sie ihn nicht weiter unter ihrem Dach duldete und hinauswarf, bevor die Ermittlungen abgeschlossen waren.
»Ich weiß, dass Familienmitglieder manchmal nicht gut miteinander auskommen«, versuchte sie den Alten zu beschwichtigen. »Aber meinen Sie nicht, dass Sie ein wenig zu hart gegen Mrs. Harwell sind? Immerhin hat sie Sie bei sich aufgenommen und Ihnen ein bequemes ...«
»Bequem?«, krächzte Monty aufgebracht und zupfte am Ärmel seines neuen Pullovers. »Sie nennen das hier allen Ernstes bequem?«
»Zumindest hat sie es versucht«, beharrte Jess händeringend.
»Sie hat es versucht ... zugegeben«, war seine Antwort. »Aber gut gemeint ist das Gegenteil von gut.« Er kicherte über seinen Witz.
»Die Situation ist für alle gleichermaßen schwierig«, erinnerte Jess ihn. »Ich bin vorhin Tansy begegnet.«
Montys Heiterkeit verschwand. Er nickte. »Ja, es ist ihr nahegegangen. Der Tod, wenn man ihm zum ersten Mal begegnet, ist immer ein Schock. In ihrem Alter denkt man noch, dass man ewig lebt. Sie ist ein nettes Mädchen. Ich hoffe, sie hat ein gutes Leben. Ich wünschte, ich könnte etwas für sie tun, aber ich war nie gut darin, Geld zu verdienen. Ich habe nichts, was ich ihr hinterlassen könnte, überhaupt nichts. Es ist zu spät, das jetzt noch zu bedauern - was nicht heißt, dass ich es nicht trotzdem täte.«
Monty stieß einen Seufzer aus und nickte ein Mal, um anzudeuten, dass die Unterhaltung beendet war.
Jess ließ ihn auf der Gartenbank zurück, wo er mit vor dem neuen Pullover gefalteten Händen saß und abwesend ins Leere starrte. Er schien keine Augen für den Garten zu haben. Sie fragte sich, was er sah. Sie gewann immer stärker den Eindruck, dass der alte Mann aufgehört hatte, die Gegenwart als relevant zu sehen. Er schien einen großen Teil seiner Zeit in der Vergangenheit zu verbringen. Vielleicht war das die Erklärung, warum die Entdeckung des Toten in seinem Wohnzimmer so wenig Eindruck auf ihn gemacht zu haben schien. Es war, als hätte er es einfach abgeschüttelt. Es machte ihm nichts aus, weil andere Dinge - seine Erinnerungen - viel wichtiger waren.
Jess umrundete die Ecke des Hauses. Das Gras dämpfte das Geräusch ihrer Schritte, und sie hielt verblüfft inne, als durch ein Fenster das Geräusch erregter Stimmen drang. Bridget und ihre Tochter Tansy hatten einen handfesten Mutter-Tochter-Zwist. Jess' instinktive Reaktion war, sich außer Hörweite zu begeben. Doch dieser Impuls behielt nur für einen Moment die Oberhand, dann setzte sich ihr polizeiliches Training durch, und sie hielt inne, um zu lauschen.
»Ich weiß wirklich nicht, warum du dich so dagegen sperrst, ein College in den Vereinigten Staaten zu besuchen! Max und ich würden uns sehr freuen ...«
»Schön gesagt«, schnappte Tansy. »Aber Max will mich ganz bestimmt nicht um sich haben!«
»Unsinn. Du magst ihn nicht«, lautete Bridgets spröde Erwiderung. »Aus irgendeinem unerfindlichen Grund magst du ihn nicht!«
»Ob ich ihn mag oder nicht spielt doch überhaupt keine Rolle! Er ist sowieso nicht lange genug da, um einen Unterschied zu machen, oder?«
»Und was genau willst du damit sagen, junge Lady?« Bridgets unterdrückter Ärger brach durch die bis zu diesem Augenblick sorgsam kontrollierte Fassade.
»Das weißt du verdammt genau!«
»Sprich nicht in diesem Ton mit mir! Ich bin immer noch deine Mutter!«
»Also schön, Mutter, keine deiner früheren Ehen hat sonderlich lange gehalten, oder?« Auch
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