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Mord im Atrium

Mord im Atrium

Titel: Mord im Atrium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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in der Nähe unvermeidlichen Versagens aufzuhalten tut nicht gut. Das veranlasst einen, zu viel über das eigene Leben nachzudenken.
    Der Rex Nemorensis bot an, mir zu helfen. Ich wollte allein sein, aber als ich losging, taperte er hinter mir her wie eine neugierige Ziege.
     
    Ich ging wieder zum See hinunter. Und dort entdeckte ich sie. Eine Frau stand reglos direkt am Ufer, eingehüllt in einen langen dunklen Mantel, die Kapuze auf dem Kopf. Sie kehrte mir den Rücken zu. Sie war ganz allein und blickte entweder ins Wasser oder starrte darüber hinweg. Sie hatte die richtige Größe, und ich meinte ihre Haltung zu erkennen. Von hinten war es unmöglich, ihre Stimmung zu deuten, aber ihre Stille und ihre Körperhaltung wiesen auf tiefe Melancholie hin.
    Der König des Hains könnte sich doch noch als nützlich erweisen. Mit einem Blick über meine Schulter rief ich leise: »Eine Frage noch. Ist seit ihrer Ankunft jemand eines gewaltsamen Todes gestorben?«
    Beinahe traurig schüttelte er den Kopf. »Niemand.«
    Ich zog meinen Mantel zu, damit das Schwert wieder verborgen war, trat dann vorsichtig aus dem Wald und überquerte den flachen Strand, bis ich Veleda am Rand des Wassers erreichte.

XLVIII
    S ie war älter, als ich erwartete – viel älter, als ich sie in Erinnerung hatte. Das war ein Schock. Wenngleich die Umstände unserer ersten Begegnung meine Erinnerung an sie mit dem goldenen Dunst der Romantik überzogen haben mochten, hatte die Gefangennahme durch Rutilius Gallicus zu einem plötzlichen Verfall geführt, was sich bei manchen Menschen körperlich äußert. Sie musste in kurzer Zeit schnell gealtert sein. In endlosen Wäldern mangelt es an kleinen Kosmetikläden, dank derer sich solche Schäden beheben lassen.
    Sie erkannte mich. »Didius Falco.« Diese blauen Augen sahen, was ich über ihr Erscheinungsbild dachte. Gedankenlesen ist eine dieser Eigenschaften, die mysteriöse Seherinnen stets pflegen. »An Ihnen scheint die Zeit spurlos vorübergegangen zu sein!« Das klang nicht wie ein Kompliment. Scheiß drauf, ich war daran gewöhnt.
    »Lassen Sie sich nicht täuschen. Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder. Ich bin erwachsen geworden.« Ich fragte mich, ob sie wusste, dass mit Justinus etwas Ähnliches geschehen war. Vermutlich hatte der Idiot es ihr in einem seiner Briefe erzählt. Oder vielleicht auch nicht …
    In den fernen Wäldern hatte Veleda ganz das Aussehen einer Rebellenführerin gehabt, war die leuchtende Inspiration grausamer Krieger gewesen, die sich unter ihrer Führung nicht nur mit dem Imperium, sondern auch mit Rom angelegt und beinahe gesiegt hatten. Meine Gefährten und ich hatten gesehen, wie sie sich mit überwältigender Selbstsicherheit unter ihrem Volk bewegte. Justinus war sowohl von ihrer körperlichen Schönheit als auch von ihrer Intelligenz und Macht verführt worden (plus dem Talent, das jede geschickte Frau gegen Männer einsetzt – zu zeigen, dass sie an ihm interessiert ist). Sie war immer noch eine bemerkenswerte Frau, hochgewachsen, von gerader Haltung, fesselnde blaue Augen, blond – doch als ihre Kapuze zurückfiel, während sie sich mir zuwandte, sah ich, dass das Blond verblichen war. Wenn ihre goldenen Zöpfe auch noch nicht mit Grau durchsetzt waren, so würde das nicht mehr lange auf sich warten lassen. Die Demütigung ihrer Gefangennahme schien ihr nichts von ihrer Selbstsicherheit genommen zu haben, doch irgendetwas war in ihr gestorben – oder starb. Ganz einfach. Die legendäre Veleda war kein junges Mädchen mehr.
    Sie spürte keine Veränderung, das sah ich ihr an. Die verschwommene Oberfläche eines Spiegels aus Bronze oder Silber würde ihr die feinen Fältchen um die Augen und den Mund nicht zeigen, auch nicht die nachlassende Spannkraft ihrer Haut. Wahrscheinlich hatten die Ärzte, die im Haus von Quadrumatus zu Rate gezogen wurden, diese Männer, die Helena verhöhnt hatte, weil sie sofort erklärten, Veledas Probleme seien »weibliche Hysterie«, recht gehabt mit ihrer Diagnose, dass sie in den Wechseljahren war – obwohl ich bei näherem Hinschauen auch Anzeichen echter Krankheit entdeckte. Aber Veleda war immer noch sie selbst; sie sah der Zukunft mit dem Wunsch nach Leben, Einfluss und Erfolg entgegen. Das bedeutete, dass sie nach wie vor gefährlich war. Das durfte ich nicht vergessen.
    »Ich hätte nie gedacht, dass wir uns wiedersehen würden, Veleda. Tut mir leid, das klingt banal.«
    »Sie machen keine Fortschritte,

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