Mord im Dirnenhaus
schmunzelte Adelina vor sich hin.
6
Albert Merten war glücklicherweise noch immer bei klarem Verstand, als Adelina die Familie und das Gesinde zum Frühstück rief. Sie stellte ihm Griet als ihr neues Lehrmädchen vor und erwähnte auch, dass sie Neklas’ Tochter sei.
Albert nickte dem Mädchen freundlich zu und wandte sich dann schmunzelnd an seine Tochter. «Du bist sehr großzügig, Lina. Manch eine Frau würde ihrem Mann die Hölle heiß machen, wenn er ihr so einfach ein Kuckucksei ins Nest gelegt hätte.»
Adelina füllte seine Schüssel mit Hafergrütze. «Vater, Griet ist doch kein Kuckucksei. Und schließlich hat er mich ja nicht betrogen. Soll ich ihm für etwas böse sein, was vor beinahe neun Jahren geschehen ist?» Sie gab auch Griet einen Schöpflöffel voll Grütze und reichte dann den Topf an Magda weiter, damit sie den anderen austeilte.
«Vermutlich nicht», meinte Albert und tauchte seinen Löffel in den dampfenden Brei. «Aber sag, wo ist er denn überhaupt?»
«In Geschäften an der Universität und bei Doctore Bertini.»
«Ts ts, kaum hier und schon wieder fleißig. Neklas ist wahrlich ein tüchtiger Mann. Und du, mein Kind», wieder lächelte er Griet zu. «Hast du gut geschlafen?»
Griet sah unsicher von ihrer Schüssel auf. Adelina nickte ihr aufmunternd zu. «Du darfst ruhig sprechen,wenn du gefragt wirst. Und meinen Vater redest du mit Meister Albert an.»
«Ich …», zögernd nickte Griet. «Danke, ich habe sehr gut geschlafen.» Sie sprach mit einem starken Akzent, den man in abgeschwächter Form auch bei Neklas wahrnahm.
«Du redest aber komisch!», befand Vitus denn auch gleich zwischen zwei Bissen von dem frischen Brot, von dem er sich gleich zwei Scheiben genommen hatte.
«Vitus!» Amüsiert gab Adelina ihm einen Klaps auf den Arm. «Sei nicht so unhöflich.» Sie blickte Griet aufmerksam ins Gesicht. «Du sprichst unsere Sprache sehr gut. Wer hat sie dir beigebracht?»
Griet legte den Löffel beiseite und lächelte sogar ein wenig. Langsam schien sie aufzutauen. «Ich höre viel zu. Und Mutter hat mir die deutsche Sprache beigebracht. Wir sind mit Stiefvater früher viel gereist und haben auch in deutschen Städten gelebt. Aber dann sind wir wieder nach Kortrijk gegangen.» Der letzte Satz klang traurig.
«Hat es dir dort nicht gefallen?»
«Nein.» Griet nahm den Löffel wieder auf und schob sich eine Portion Grütze in den Mund. Es sah nicht so aus, als wolle sie noch mehr zu ihrer Abneigung gegen Kortrijk sagen. Adelina ließ es vorerst dabei bewenden.
Später am Vormittag nahm sie Griet mit zu den Beginen in der Mühlengasse und meldete sie dort für den Lese- und Schreibunterricht an. Die Beginenmeisterin, Frau Gertrud, musterte Griet aufmerksam. «Wie alt bist du, Kind?»
«Im Juni war mein achter Geburtstag», antwortete die Kleine höflich, drückte sich jedoch etwas ängstlich halb hinter Adelina. Die graue Tracht und das strenge weißeGebende der Begine schienen sie sehr einzuschüchtern. Frau Gertrud sah es und blinzelte ihr zu.
«Du brauchst keine Angst zu haben. Wir fressen hier keine kleinen Mädchen.» Sie wandte sich wieder an Adelina. «Verzeiht, Meisterin Burka, wenn ich so neugierig frage, aber Eure Tochter ist Griet wohl nicht, oder?»
«Nein, sie ist meine Stieftochter. Die Tochter meines Gemahls, und sie soll bei mir in die Lehre gehen, sobald sie des Lesens und Schreibens mächtig ist.»
«Ah.» Frau Gertrud nickte. «Wäre es dann vielleicht in Eurem Sinne, wenn wir Griet auch die Grundbegriffe des Rechnens beibringen? Unsere Schulmeisterin, Frau Martha, ist darin sehr bewandert.»
«Ihr gebt auch Rechenunterricht?» Adelina war hocherfreut. «Das ist ja wunderbar. Ich habe mich schon gefragt, wie ich Zeit aufbringen soll, Griet darin zu unterweisen. Wann kann sie mit dem Unterricht beginnen?»
«Sobald es Euch recht ist. Wir haben gerade mit einer neuen Gruppe Mädchen angefangen. Wenn Griet sofort beginnt, hätte sie noch nichts verpasst.»
«Dann schicke ich sie Euch gleich morgen», beschloss Adelina.
«Schön. Der Unterricht beginnt zur Terz und geht etwa bis zur Sext.»
Nachdem Adelina auch noch die Bezahlung mit der Begine vereinbart hatte, verabschiedete sie sich und ging mit Griet zurück zum Alter Markt. Sie hatte noch ein paar Einkäufe zu tätigen, und das Mädchen schaute ihr bei jedem Händler mit großem Interesse zu. Dann jedoch wurde ihre Aufmerksamkeit durch das Rufen der Marktbüttel abgelenkt. Gerade wurde eine
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