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Mord im Orientexpress

Mord im Orientexpress

Titel: Mord im Orientexpress Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Einwand», sagte Dr. Constantine. «Wenn Hildegard Schmidts Aussage wahr ist, wieso hat dann der richtige Schlafwagenschaffner nichts davon erwähnt, dass er sie gesehen habe, als er zu Mrs. Hubbard ging, weil sie nach ihm geläutet hatte?»
    «Ich glaube, das lässt sich leicht erklären. Als er in den Wagen kam und zu Mrs. Hubbard ging, war die Zofe gerade im Abteil ihrer Herrin. Als sie dann zu ihrem eigenen Abteil zurückging, war der Schaffner bei Mrs. Hubbard.»
    Monsieur Bouc hatte sich mit Mühe geduldet, bis die beiden anderen ihren Diskurs beendet hatten.
    «Alles schön und gut, mein Freund», sagte er jetzt unwirsch zu Poirot. «Aber sosehr ich Ihre umsichtige Methode bewundere, Ihr schrittweises Vorgehen, möchte ich mir doch die Bemerkung erlauben, dass Sie den Punkt, um den es hier geht, noch gar nicht berührt haben. Wir sind uns ja alle darüber einig, dass dieser Mann existiert. Die Frage ist nur – wohin ist er verschwunden?»
    Poirot schüttelte tadelnd den Kopf.
    «Das ist falsch. Sie sind in Gefahr, den Wagen vor das Pferd zu spannen. Bevor ich mich frage: Wohin ist der Mann verschwunden?, frage ich mich: Gibt es den Mann überhaupt? Denn sehen Sie, wenn dieser Mann erfunden ist – erdichtet –, wie viel leichter könnte man ihn dann von der Bildfläche verschwinden lassen! Also versuche ich zuerst herauszufinden, ob es so einen Mann überhaupt in Fleisch und Blut gibt.»
    «Und nachdem wir nun festgestellt haben, dass es ihn gibt – eh bien – wo ist er jetzt?»
    «Darauf gibt es nur zwei Antworten, mon cher. Entweder hält er sich noch im Zug versteckt, und zwar an einem so genial gewählten Ort, dass wir erst gar nicht darauf kommen, oder aber er ist gewissermaßen zwei Personen. Das heißt, er ist zum einen er selbst – der Mann, vor dem Mr. Ratchett sich fürchtete –, zum anderen ein Fahrgast, der sich so gut getarnt hat, dass nicht einmal Mr. Ratchett ihn erkannte.»
    «Das ist eine Idee», sagte Monsieur Bouc, und sein Gesicht erstrahlte. Aber sofort bewölkte es sich wieder. «Dagegen spricht allerdings eines –»
    Poirot nahm ihm die Worte aus dem Mund.
    «Die Größe des Mannes. Das wollten Sie sagen, ja? Mit Ausnahme von Mr. Ratchetts Diener sind alle männlichen Passagiere groß – der Italiener, Colonel Arbuthnot, Hector MacQueen, Graf Andrenyi. Alors, damit bleibt uns der Diener – keine sehr plausible Vermutung. Aber es gibt noch eine Möglichkeit. Denken Sie an die ‹weibische› Stimme. Damit können wir zwischen zwei Alternativen wählen. Der Mann könnte sich als Frau verkleidet haben, oder andersherum, es könnte tatsächlich eine Frau sein. Eine große Frau in Männerkleidern würde klein wirken.»
    «Aber Ratchett hätte doch sicher gewusst –»
    «Vielleicht hat er es ja gewusst. Vielleicht hat diese Frau ihn schon einmal zu töten versucht, als Mann verkleidet, um leichter an ihr Ziel zu kommen. Ratchett könnte vermutet haben, dass sie diese List noch einmal anwenden würde, also weist er Hardman an, nach einem Mann Ausschau zu halten. Dabei erwähnt er jedoch ausdrücklich die ‹weibische› Stimme.»
    «Es wäre durchaus eine Möglichkeit», sagte Monsieur Bouc. «Aber –»
    «Hören Sie, mein Freund. Ich sollte Ihnen jetzt vielleicht über einige Ungereimtheiten berichten, auf die Dr. Constantine gestoßen ist.»
    Er erläuterte ausführlich, welche Schlussfolgerungen er und der Arzt gemeinsam aus der Art der Wunden an der Leiche gezogen hatten. Monsieur Bouc griff sich wieder stöhnend an den Kopf.
    «Ich weiß», sagte Poirot teilnahmsvoll, «ich weiß genau, wie Ihnen zu Mute ist. Es dreht sich einem alles im Kopf, nicht wahr?»
    «Das ist ja ein Stück aus dem Tollhaus!», rief Monsieur Bouc.
    «Genau. Es ist widersinnig – unwahrscheinlich – es kann gar nicht sein. Das habe ich mir auch gesagt. Und dennoch ist es so, mein Freund. Vor Tatsachen gibt es kein Entrinnen.»
    «Der helle Wahnsinn!»
    «Nicht wahr? Es ist so verrückt, mein Freund, dass mich manchmal das Gefühl beschleicht, es müsse in Wirklichkeit ganz einfach sein… Aber das ist nur so eine meiner ‹kleinen Ideen›…»
    «Zwei Mörder», stöhnte Monsieur Bouc. «Im Orientexpress!»
    Er hätte bei diesem Gedanken weinen mögen.
    «Und nun wollen wir das Tollhausstück noch etwas toller machen», meinte Poirot fröhlich. «Vergangene Nacht befinden sich in diesem Zug zwei geheimnisvolle Fremde. Zum einen der Schlafwagenschaffner, auf den die Beschreibung zutrifft, die Mr.

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