Mord in Babelsberg
muss hier auf jeden Fall Männer empfangen haben. Zumindest einen.«
Leo trat näher. Delbrück hielt einen Beutel in die Höhe. »Verschiedenfarbige Haare, die ich aus der Bürste entfernt habe. Zweierlei Längen. Ein silbriges Blond und ein deutlich dunklerer Ton. Die Bürste riecht leicht nach Pomade. Außerdem haben wir Fingerabdrücke von den Türklinken, den Griffen des Schrankes und der Schubladen, dem Fenstergriff, dem Kopfende des Bettes und so weiter genommen. Mal sehen, was sich daraus ergibt.«
»Wenn du fertig bist, kannst du im Wohnzimmer weitermachen«, sagte Leo.
Delbrück nickte und wandte sich wieder dem Toilettentisch zu.
Im Flur traf er auf Sonnenschein, der rasch wegsah, als Leo aus der Schlafzimmertür trat.
»Ist etwas?«
»Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich durch bin und alles eingepackt habe, das eine Untersuchung lohnt.«
Leo steckte noch einmal den Kopf durch die Tür. »Paul, wir müssen los. Gib der Hausmeisterin Bescheid, wenn du fertig bist.«
»Sicher.«
Sonnenschein schleppte schweigend die Kiste nach unten. Als er sie in den Wagen lud und auf dem Beifahrersitz Platz nahm, sah Leo ihn von der Seite an. »Sie haben doch was, Sonnenschein. Heraus mit der Sprache.«
Sein Kollege schaute geradeaus durch die Windschutzscheibe. Auf seiner Stirn glänzte ein dünner Schweißfilm, und die lockigen Haare klebten an den Schläfen. Dann zog er etwas aus der Jackentasche und hielt es Leo hin, ohne ihn anzuschauen. »Das ist vorhin aus einem Fotoalbum gefallen.«
Leo saß im Wagen, einen Arm aufs Lenkrad gestützt, in der anderen Hand das Foto. Er spürte Sonnenscheins Blick auf sich, brachte aber kein Wort heraus.
Er hatte das Foto noch nie gesehen, konnte sich aber sofort erinnern, wann sie es aufgenommen hatte. Marlen hatte eine Voigtländer Avus besessen, auf die sie sehr stolz war. Ein Freund habe gesagt, sie dürfe sich von ihm wünschen, was sie wolle, worauf sie sich für seine Plattenkamera entschieden habe. Der Mann habe sich äußerst ungern von dem Apparat getrennt, aber sein Versprechen gehalten. Marlen hatte in der ersten Zeit eine ganze Anzahl von Fotos geschossen, bevor sie die Lust daran verlor.
Es war bei einem Treffen im Frühjahr 1922 gewesen. Leo hatte im Sessel am Fenster gesessen, die Beine übereinandergeschlagen, den Kopf leicht nach hinten gelehnt, in der Hand eine Zigarette. Durch das hohe Fenster fielen schräge Sonnenstrahlen auf sein weißes Hemd. Er hatte einfach den Augenblick genossen.
Und nie daran gedacht, sie nach dem Foto zu fragen.
Marlen hatte es also behalten.
Er drehte es um. Die Rückseite war unbeschriftet.
»Herr Kommissar?« Sonnenscheins Stimme klang leise, beinahe zaghaft.
Leo hielt ihm das Foto hin, doch der Kollege schüttelte den Kopf. »Sie entscheiden, was damit passieren soll.«
Leo zögerte und schob es in die Innentasche seines Jacketts, das hinter seinem Sitz hing.
»Warum … haben Sie es mir gegeben?«
Sonnenschein schaute auf seine Hände. »Ich weiß es nicht. Vielleicht weil ich so überrascht war. Oder damit es nicht gefunden wird, wenn die Kollegen dabei sind.«
Leo drehte sich langsam zur Seite und sah ihn an. »Danke.«
»Nichts zu danken. Sie hatten etwas bei mir gut.«
»Wieso?«
»Vor drei Jahren haben Sie meinem Vater geholfen. Sie hätten damals durchaus Schwierigkeiten bekommen können.«
»Das Gleiche könnte ich jetzt von Ihnen sagen«, erwiderte Leo. »Das ist Beweismaterial.«
»Es beweist lediglich, dass die Dame Sie fotografiert hat.« Sonnenschein holte ein Zigarettenetui aus der Tasche und bot Leo eine an.
»Ich dachte, Sie rauchen nicht.«
»Das tue ich gewöhnlich auch nicht, Herr Kommissar. Aber es hilft manchmal dabei, Leute zum Sprechen zu bringen.«
Leo seufzte. »Na schön, Sonnenschein, Sie haben eine Erklärung verdient. Fräulein Dornow und ich waren befreundet, es ist schon einige Jahre her. Ich habe sie seit 1922 nicht mehr gesehen oder mit ihr gesprochen. Ich hätte nie damit gerechnet, dass sie ein Foto von mir aufgehoben hat.« Er sah auf die Uhr. »Nach der Zigarette müssen wir dringend ins Büro.«
»Ja, Herr Kommissar.« Sonnenschein verzog das Gesicht, als ihm der Rauch in die Kehle drang.
»Machen Sie die aus, das kann man ja nicht mit ansehen. Ich weiß Ihr Verständnis auch so zu schätzen.«
Sonnenschein öffnete die Beifahrertür und warf die Kippe diskret in den Rinnstein. Dann unternahm er einen erneuten Anlauf. »Ich weiß, dass es mich nichts angeht,
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