Mord in Babelsberg
aber es hat gedauert, bis ich die Stelle hier gefunden habe.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich will was aus mir machen. Das JOFA zahlt besser, und hier werden tolle Filme gedreht.«
»Nicht die beste Adresse?«, hakte Leo nach.
»Die haben kaum zu tun. Keine Ahnung, wie sich der Laden überhaupt noch trägt. Wenn der König dorthin geht, ist das, als ob Pola Negri ihre Kleider beim Altwarenhändler kauft.«
Leo nickte. »Vielen Dank, Herr Richter, Sie haben uns sehr geholfen. Geben Sie meinem Kollegen Ihren Namen und Ihre Anschrift, falls wir Sie noch einmal brauchen.«
Sonnenschein notierte beides. Dann schauten sie dem jungen Mann nach, der im Laufschritt ins Atelier zurückkehrte.
Leo ließ den Motor an und sah zu Sonnenschein. »Sie merken es auch, nicht wahr?«
»Ja. Es geht los.«
16
»Herr Wechsler!« Elisa Reichwein kam ihm mit ausgestreckter Hand entgegen. Ihre tiefe Stimme klang aufrichtig erfreut. »Das ist aber eine angenehme Überraschung.«
Am frühen Nachmittag war niemand außer ihnen in der Galerie.
»Wir haben uns lange nicht gesehen. Hängt das Bild noch in Ihrem Büro?«
Er lächelte. »Natürlich. Dort wird es auch bleiben, bis ich pensioniert werde. Man hat mich gelegentlich darauf angesprochen.«
»Vielleicht wirkt es beruhigend auf Ihre Besucher.«
Er hatte ihr vor vier Jahren ein kleines Bild abgekauft, das ihm auf Anhieb gefallen hatte, obwohl er es sich eigentlich nicht leisten konnte. Leo schaute Elisa Reichwein genauer an. Sie hatte sich kaum verändert, nur ihr Haar war etwas kürzer, und statt der geometrischen Muster, die sie früher bevorzugt hatte, trug sie ein schlichtes dunkles Kleid, das den idealen Hintergrund für die auffällige bunte Kette aus eckigen Bakelit-Perlen abgab. Eine aparte Frau, das hatte er damals schon gedacht.
Er schüttelte den Kopf. »Ganz und gar nicht. Ich bin egoistisch und habe es so gehängt, dass ich es vom Schreibtisch aus sehe. Meine Besucher kehren ihm meist den Rücken zu.«
»Gut. Es soll ja auch Sie erfreuen.« Sie legte den Kopf ein wenig schief und sah ihn fragend an. »Aber Sie sind sicher nicht hergekommen, um mir von Ihrem Bild zu erzählen. Ich nehme an, Sie sind beruflich hier.«
»Allerdings.« Leo sah sich in dem großen, hellen Raum mit den hohen Fenstern um. »Aber ein paar Minuten kann ich erübrigen.«
»Bitte.« Sie machte eine einladende Geste.
»Fotografie«, sagte er erstaunt.
»Ja. Ich war kürzlich in Paris und bin dort auf Man Ray gestoßen. Er hat vor einigen Jahren in Berlin ausgestellt, bei Alfred Flechtheim, aber damals hat er noch erfolglos gemalt. Dann hat er die Fotografie für sich entdeckt, und schauen Sie …«
Leo war vor einem riesigen Foto stehen geblieben, das die Rückansicht einer nackten, nur mit einem Turban bekleideten Frau zeigte. Auf ihren Rücken waren zwei geschwungene Schalllöcher aufgemalt, wie bei einem Saiteninstrument. Auf der kleinen Karte unter dem Bild stand: Le Violon d’Ingres, 1924 .
»Das ist … außergewöhnlich«, sagte Leo und trat einen Schritt zurück, um das Bild richtig in Augenschein zu nehmen.
»Seine Geliebte Kiki, er fotografiert sie häufig. Sie ist selbst Künstlerin«, sagte Elisa Reichwein. Dann deutete sie auf ein anderes, auf den ersten Blick weniger auffälliges Foto. »Das hier mag ich noch lieber.«
Ein Zimmer, viele Bilder an den Wänden, ein Kaminsims und Beistelltische voller Skulpturen. Am Tisch davor zwei Frauen, eine rundlich und älter in einem altmodischen Sessel, die andere schlank mit Pagenkopf. »Das da sind Gertrude Stein und Alice B. Toklas, sie führen in Paris einen bedeutenden Salon für Schriftsteller und andere Künstler.«
Er hörte die Sehnsucht in ihrer Stimme und musste unwillkürlich an Clara denken.
»Ich hatte wirklich Glück, dass ich diese Fotos bekommen konnte. Sie werden irgendwann in Museen hängen, da bin ich mir sicher.« Sie drehte sich zu ihm um. »Sie können sich soviel Zeit lassen, wie Sie möchten, Herr Wechsler, aber ich will Sie nicht von der Arbeit abhalten.«
»Gut, dass Sie mich an meine Pflicht erinnern.« Er zog ein Blatt aus der Jackentasche, faltete es auseinander und hielt es ihr hin. »Ich möchte wissen, wie viel diese Werke ungefähr wert sind.«
Sie überflog die Liste und schaute ihn überrascht an. »Das ist aber nicht Ihre Sammlung, oder?«
Er lachte. »Nein, der berufliche Teil meines Besuchs. Wir müssen das Vermögen einer Person bewerten, und diese Kunstwerke gehören dazu. Ich
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