Mord in Babelsberg
dachte, Sie könnten mir dabei helfen. Noch brauche ich kein offizielles Gutachten, ich muss mir nur einen ersten Eindruck verschaffen.«
»Für ein Gutachten würde ich Sie ohnehin an Flechtheim verweisen, niemand kennt sich besser aus als er. Aber ich schaue es mir gerne an. Kommen Sie bitte mit.« Sie führte ihn in ein Büro im hinteren Teil der Galerie und breitete die Liste auf dem Tisch aus.
»Picasso, eine frühe Zeichnung. Ein Corinth. Drei Bilder von Paul Klee. Ein später Macke.« Sie holte eine Mappe und einen Aktenordner aus dem Regal und blätterte darin. Leo lehnte sich an die Wand und schaute geduldig zu, während die Galeristin ihre Unterlagen konsultierte. Schließlich blickte sie auf. »Allein für die Klees würde ich um die sechstausend Mark veranschlagen. Es ist eine grobe Schätzung, aber ich würde den Gesamtwert der Werke nicht unter zwanzigtausend Mark ansetzen.«
Leo stieß einen leisen Pfiff aus. »Das ist beachtlich.«
Sie gab ihm die Liste zurück. »Und die Bilder werden noch an Wert gewinnen. Die Wirtschaft erholt sich, da wagen die Menschen wieder, in Kunst zu investieren. Der Besitzer hat geschickt gekauft oder wurde gut beraten.« In ihrer Stimme schwang eine unausgesprochene Frage mit.
Leo griff nach seinem Hut, den er auf den Schreibtisch gelegthatte, und lächelte. »Sie lesen doch Zeitung? Der Besitzer war prominent. Mit der Betonung auf ›war‹.«
Sie führte ihn zurück in den Ausstellungsraum und gab ihm zum Abschied die Hand. »Ich verstehe. Die Bilder dürften sich gut in seinem Haus gemacht haben.«
Leo blieb auf dem Weg zur Tür vor einem Foto stehen. »Das ist wunderbar«, sagte er halb ehrfürchtig, halb belustigt.
Man sah nur zwei Hände, die auf einer Reihe von Zuckerwürfeln, die sich grellweiß von dem dunklen Hintergrund abhoben, Klavier spielten.
Elisa Reichwein trat neben ihn. »Das sind die Hände von Antonin Artaud. Ich mag es auch sehr gern, weil es so einfach und durchkomponiert zugleich wirkt.«
»Wenn ich in der Lotterie gewinne, komme ich noch einmal vorbei.« Er drückte die Klinke. »Auf Wiedersehen, Frau Reichwein, und vielen Dank. Sie haben mir sehr geholfen.«
»Es war mir ein Vergnügen, Herr Wechsler.«
Er tippte sich an den Hut und trat hinaus auf den sonnenbeschienenen Gehweg.
Johanna Gerber verschwand fast in dem Polstersessel. Sie trug einen sauberen Kittel, Socken und einfache Schnürschuhe. Selbst die formlose Kleidung konnte ihre natürliche Anmut nicht ganz verdecken. Dr. Hartung verspürte eine irrationale Wut auf denjenigen, der ihr die Haare grob und ohne jede Sorgfalt auf Schulterlänge abgesäbelt hatte. Sie hatte wunderschönes Haar, das jetzt zwar stumpf wirkte, aber noch den früheren Glanz erahnen ließ. Ihre Lippen waren trocken und rissig, als tränke sie zu wenig; ihre Haut war fahl, aber nicht unrein. Sie saß da wie ein kleines Mädchen, die Beine eng beieinander, die Füße parallel auf dem Boden, die Hände reglos im Schoß.
»Fräulein Gerber«, begann er mit sanfter Stimme, »ich warbei Ihrer Schwägerin. Sie hat mir von Ihrer Arbeit erzählt. Dass Sie Schneiderin sind. Und davon geträumt haben, Kostüme zu schneidern, fürs Theater oder vielleicht sogar für den Film.«
Sie schluckte mühsam, als hätte sie Schmerzen dabei. Hartung stand auf und reichte ihr einen Becher mit Wasser. Als sie nicht danach griff, stellte er ihn auf den kleinen Tisch neben ihrem Sessel und kehrte an seinen Platz zurück.
»Ich kann mir vorstellen, wie Sie jeden Tag an der Nähmaschine gesessen haben, von morgens bis zum späten Nachmittag, Nähte ausgelassen, Säume gekürzt, Knöpfe angenäht haben. Wenn eine Kundin sich ein Kleid schneidern ließ, war das etwas Besonderes. Abends haben Sie in Ihrer Wohnung gesessen und sich Illustrierte angeschaut. Fotos von Frauen in schönen Abendkleidern, Pelzstolen, eleganten Schuhen. Mit Hüten nach der neuesten Mode. Handtaschen, die mit Glasperlen bestickt oder mit Fransen verziert waren. Und Sie träumten davon, solche Kleider zu nähen, ohne Rücksicht auf den Preis, nur aus den kostbarsten Stoffen.«
Keine Reaktion.
Hartung öffnete die unterste Schublade in seinem Schreibtisch und holte etwas heraus. »Die hier hat Ihre Schwägerin mir für Sie mitgegeben. Sie dachte, Sie hätten sie gern zurück.«
Er schob die Modeillustrierte über seinen Schreibtisch, bis Johanna Gerber sie sehen konnte.
Doch sie griff nicht danach, sondern saß nur da, das Gesicht zu einer
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