Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
an.
»Möglicherweise hat Ihre Gattin es im Zuge ihrer unzusammenhängenden Reden von ihr erfahren«, fuhr Pitt fort, »sei es direkt oder in Gestalt verstreuter Hinweise, aus denen sie sich das Erforderliche zusammenreimen konnte.«
Blantyre schluckte erneut schwer, als sei seine Kehle ausgedörrt. »Wollen Sie damit sagen, dass sie zu dem Ergebnis gekommen sein könnte, Serafina habe ihren Vater verraten?«, fragte er. »Welchen Grund hätte sie dazu gehabt, in Dreiteufelsnamen? Sie hat doch selbst auf der Seite der Aufständischen gestanden. Wollen Sie etwa darauf hinaus, dass sie es insgeheim mit den Österreichern gehalten haben könnte?« In seiner Stimme lag Ungläubigkeit, fast so etwas wie Zorn über den bloßen Gedanken. Oder fürchtete er, Pitt könne recht haben?
»Der Grund ist mir nicht bekannt«, gab Pitt zu. »Nach allem, was wir wissen, liegt darin politisch gesehen kein Sinn, aber womöglich gibt es da noch andere Dinge, von denen wir nichts wissen.«
Blantyre dachte eine Weile nach. »Sie meinen persönliche Gründe?«, fragte er schließlich.
»Es wäre denkbar«, sagte Pitt abwartend. Ob Blantyre wusste, dass zwischen Dragovic und Serafina eine Liebesbeziehung bestanden hatte? Falls er selbst an den Aufständen beteiligt gewesen war, auf welcher Seite auch immer, konnte er es wissen, wenn er es nicht den Äußerungen anderer entnommen oder gar von seiner Frau gehört hatte.
Blantyres Gesicht verzog sich gequält, und ein Ausdruck von Verachtung trat auf seine Züge. »Wollen Sie mir etwa einreden, die beiden seien früher ein Liebespaar gewesen und sie habe sich die Zurückweisung durch ihn so sehr zu Herzen genommen, dass sie bereit war, nicht nur ihn zu verraten, sondern damit zugleich auch die gemeinsame Sache – nur um sich an ihm zu rächen? Das kann ich unmöglich glauben. Serafina hatte viele Liebhaber, und ich habe nie davon gehört, dass sie sich für etwas gerächt hätte. In ihren Augen war das Leben dafür zu schön und zu kurz. Sie hat niemandem je mit Absicht geschadet, sondern höchstens aus Versehen.«
»Und Dragovic war der Sache treu ergeben?«, ging Pitt der anderen logischen Möglichkeit nach.
Blantyre öffnete die Augen weit. »Ja, soweit mir bekannt ist. Doch falls nicht – was hätte das damit zu tun, dass Mrs. Montserrat jetzt umgebracht worden ist? Wollen Sie etwa sagen, dass sie in ihren wirren Reden gestanden hat, ihn den Österreichern ausgeliefert zu haben, weil er ein Verräter war? Das halte ich für unsinnig. Niemand hätte ihr das geglaubt. Dragovic war ein Held, das war allgemein bekannt. Er war bereit, eher in den Tod zu gehen, als den Österreichern preiszugeben, wer außer ihm an dem Aufstand beteiligt war. Daran kann es keinen Zweifel geben, denn man hat außer ihm nie jemanden festgenommen. Das weiß ich genau.«
»Könnte ihn einer von Mrs. Montserrats anderen Liebhabern verraten haben, zum Beispiel aus Eifersucht?«, fuhr Pitt fort. Um Adrianas wie um Charlottes willen, vor allem aber um Blantyres willen hoffte er, dass es sich so verhielt, denn dann wäre Adriana nicht mehr verdächtig.
»Ja …«, sagte Blantyre gedehnt. »Ja … das ergibt eher einen Sinn. Doch wer?«
»Jemand, der noch lebt oder einen Bekannten hat, dem so sehr am Ruf des Betreffenden liegt, dass er bereit war, Mrs. Montserrat zu ermorden. Dieser Jemand müsste sich hier in London befinden und gewusst haben, dass sie gelegentlich wirr redete und dabei versehentlich etwas preisgeben könnte«, sagte Pitt nachdenklich. »Außerdem müsste er nicht nur Zugang zum Haus in Dorchester Terrace, sondern auch eine Möglichkeit gehabt haben, sie mit ihrer eigenen Opiumtinktur zu töten. Sofern er nicht selbst welche mitgebracht hat. Damit wäre der Kreis der Verdächtigen sicherlich auf ganz wenige Menschen beschränkt.«
Blantyre fuhr sich müde über das Gesicht. Er seufzte. »Und über Nerissa Freemarsh?«
»Sie meinen, ein Verwandter?«, fragte Pitt überrascht.
»Nein, aber ein Liebhaber«, korrigierte Blantyre. »Allerdings bezweifle ich sehr, dass Sie von ihr seinen Namen erfahren würden. Sie befindet sich in einer … verzweifelten Lage. Sie hat keinen Mann, keine Kinder und steht jetzt allein im Leben, da sie mit Serafina ihre letzte Angehörige verloren hat. Solche Frauen können auf eine außerordentlich … unvorhersagbare Weise reagieren.« Er runzelte die Stirn. »Sie wollen aber doch wohl nicht darauf hinaus, dass all das mit Herzog Alois zu tun haben
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