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Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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auf, dass der Ausdruck sehnsüchtiger Trauer in Blantyres Augen trat, während er den Kindheitserinnerungen seiner Frau zuhörte, die den Wechsel der Jahreszeiten beschrieb und sich darüber äußerte, wie sich alles angefühlt und angehört hatte. Über Wien sagte sie nichts. Man hätte glauben können, dass es sich dabei um eine völlig andere Welt handelte.
    Nach dem Ende der Mahlzeit kehrten die Damen in den Salon zurück, wo Tee und Gebäck bereitstanden.
    »Was Sie über Ihr Land gesagt haben, klang sehr schön«, sagte Charlotte interessiert.
    Adriana ging sogleich darauf ein. In ihren Augen lag noch immer die weiche Stimmung der Erinnerung. »Kroatien ist einzigartig«, sagte sie mit einem Lächeln. »Jedenfalls war es das früher. Ich bin schon seit mehreren Jahren nicht mehr dort gewesen.«
    »Sie können aber sicher noch einmal dorthin reisen, zumindest zu einem Besuch?«, fragte Charlotte.
    Ihre Gastgeberin schwieg und ließ den Blick einen Moment schweifen, ehe sie ihn senkte. »Ich glaube nicht, dass ich das möchte. Evan gibt sich große Mühe, meine Gefühle zu schonen. Jedes Mal, wenn ich darauf zu sprechen komme, sagt er, damit würden nur alte Wunden aufgerissen, die man am besten heilen lassen sollte. Vielleicht hat er damit ja auch recht.«
    Charlotte wartete, in der Annahme, sie werde das näher erklären. Falls sie es nicht tat, wäre es eine grobe Unhöflichkeit gewesen nachzuhaken.
    Adriana wandte sich wieder der Gegenwart zu. »Entschuldigung. Was ich da sage, klingt so sinnlos. Mein Vater lebt schon lange nicht mehr, und meine Mutter ist bereits vor ihm gestorben. Der Gedanke daran quält mich nach wie vor. Es gibt Menschen, die es gut mit mir meinen. Auch sie haben meinen Vater geliebt und um ihn getrauert, aber nicht so sehr wie ich.« Einige Minuten lang fiel es ihr schwer, ihre Gefühle zu beherrschen. Sie sah Charlotte mit rührendem Vertrauen an, als bestehe zwischen ihnen eine Freundschaft, sagte aber nichts mehr.
    Diese Worte riefen in Charlotte die Erinnerung an den gewaltsamen Tod ihrer älteren Schwester Sarah wach, den Kummer, die Angst und die darauf folgende entsetzliche Ernüchterung in Bezug auf so manches. Im Verlauf der Mordserie, zu deren Opfern Sarah gehört hatte, war sie dem jungen Polizeibeamten Pitt begegnet und hatte allmählich angefangen, erwachsen zu werden. Sie hatte gelernt, ihr nahestehende Menschen mit größerem Wirklichkeitssinn zu betrachten, und sich bemüht, ihre eigenen Schwächen wie auch die anderer zu akzeptieren und jenen keine Vorwürfe zu machen, wenn sie nicht der idealistischen und ziemlich unreifen Vorstellung entsprachen, die sie von ihnen hatte.
    Sie wusste nicht, auf welche Weise Adrianas Vater den Tod gefunden hatte, der Adriana offensichtlich tiefer gehende Schmerzen verursachte, als wenn er durch eine plötzlich ausgebrochene Krankheit oder einen tragischen Unfall umgekommen wäre. Nicht einmal jetzt, nach so langer Zeit, schien sie bereit, darüber zu sprechen.
    Charlotte sah sich im Raum um und erkundigte sich nach einer herrlichen hölzernen Schnitzarbeit. Damit war die Span nung gelöst, Adriana ging dankbar auf die Frage ein und gab ihr in allen Einzelheiten Auskunft.
    Nachdem der Butler den Herren im Esszimmer Portwein und Zigarren gebracht hatte, zog er sich auf Blantyres Wink hin zurück. Jetzt konnte das ernsthafte Gespräch beginnen.
    Blantyre beugte sich vor. »Die Donaumonarchie ist für die Zukunft Europas buchstäblich von zentraler Bedeutung. Ich denke nicht, dass sich unsere Regierung dessen hinreichend bewusst ist. Das gilt unter Umständen auch für die Regierung anderer Länder, wenn nicht sogar für die in Wien. Sehen Sie sich die Landkarte Europas an, Pitt. Die Habsburger herrschen über ein Reich von gewaltiger Größe, das im Herzen des Kontinents liegt – genau zwischen den aufstrebenden Industrienationen der protestantisch geprägten Länder im Norden, insbesondere Deutschland, das seit seiner Einigung vor einem Vierteljahrhundert zusehends mächtiger wird, und dem alten zersplitterten Südosten mit all den zerstrittenen Balkanländern. Hinzunehmen muss man Griechenland, Makedonien und das Osmanische Reich – Sie wissen schon: der kranke Mann am Bosporus.«
    Pitt unterbrach ihn nicht. Der Portwein war vergessen, und die Zigarren blieben unangezündet.
    »Im Süden haben wir Italien«, fuhr Blantyre fort. »Zwar ist es, wie Deutschland, seit einiger Zeit geeint, leidet aber nach wie vor an einer offenen Wunde,

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