Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)
nicht.«
»Ich bin nicht sicher, ob die Angehörigen damit einverstanden sind …«
»Miss Freemarsh ist die einzige Angehörige«, erwiderte ihm Pitt, »und ich denke, dass sie keineswegs das Recht hat, sich zu weigern, wenn die Möglichkeit eines Verbrechens besteht.«
»Dann müssen Sie aber die nötigen gesetzlich vorgeschriebenen …«, setzte Thurgood an.
»Nein«, hielt Pitt dagegen. »Ich gehöre nicht der Polizei an, sondern, wie gesagt, dem Staatsschutz. Es bedeutet für mich nicht die geringste Schwierigkeit, dafür zu sorgen, dass uns das Gesetz nicht im Wege steht. Auch wenn sich die Obduktion unter Umständen nachträglich als unnötig herausstellen sollte, ist die Sache zu wichtig, als dass man darauf verzichten könnte.«
Thurgood presste die Lippen aufeinander. »Sofern es ein Verbrechen gegeben haben sollte, darf man das nicht außer Acht lassen, Mr. …«
»Pitt.«
»Ich werde sofort die nötigen Vorbereitungen treffen. Ich überlasse es Ihnen, den Anwalt der Familie zu informieren. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass er Widerspruch einlegt – dafür wird Miss Freemarsh schon sorgen.«
Pitt nickte. Allmählich wurde ihm der Mann sympathisch. »Vielen Dank.«
Wie von Thurgood vorausgesagt, war der Anwalt wenig entgegenkommend. Mit sich vor Erregung überschlagender Stimme begehrte er auf und sprach von Leichenschändung, konnte aber nicht umhin, schließlich nachzugeben, wenn auch erkennbar widerwillig.
Mit zitterndem Kinn und vor Empörung blitzenden Augen hielt er Pitt vor: »Ihr Vorgehen ist ungeheuerlich! Sie überschreiten entschieden Ihre Vollmachten, Sir. Ich hatte schon immer meine Zweifel, ob die Einrichtung der Polizei für die Bürger Vorteile mit sich bringt, und das gilt für den sogenannten Staatsschutz erst recht. Ich will wissen, wer Ihr Vorgesetzter ist!«
»Der Premierminister, Lord Salisbury«, gab Pitt mit einem Lächeln zurück. »Sie finden ihn in Downing Street 10. Doch bevor Sie ihn dort aufsuchen, um Einspruch zu erheben, hätte ich gern eine ungefähre Einschätzung des Werts des Vermögens, das Mrs. Montserrat hinterlässt, wie auch Angaben darüber, wem es zufällt.«
»Kommt überhaupt nicht infrage! Sie gehen entschieden zu weit.« Der Alte verschränkte die Arme über seiner breiten Brust und funkelte Pitt mit seinen blauen Augen herausfordernd an.
»Wenn Sie mich nötigen, Erkundigungen außerhalb der Familie einzuziehen, um das festzustellen, wird das Aufsehen erregen«, gab Pitt zu bedenken. »Ich bin bemüht, den Fall so unauffällig wie möglich zu behandeln, um Mrs. Montserrats Erben vor Unannehmlichkeiten und möglicherweise sogar Gefahren zu bewahren.«
»Gefahren? Was für Gefahren? Mrs. Montserrat ist im Schlaf gestorben!«
»Das wäre ihr zu wünschen.«
»Was meinen Sie mit ›Das wäre ihr zu wünschen‹?«
»Als die herausragende Persönlichkeit, die sie war, verdient sie es, dass wir alles unternehmen, was in unseren Kräften steht, um uns Klarheit zu verschaffen. Sofern es bei ihrem Tod nicht mit rechten Dingen zugegangen oder mit ihren Papieren oder ihrem Besitz etwas nicht in Ordnung sein sollte, möchte ich nicht, dass das an die Öffentlichkeit gelangt. Ich bin ehrlich gesagt sogar fest entschlossen, dafür zu sorgen. Gestatten Sie mir, das ohne Aufsehen zu tun.«
Der Anwalt knurrte. »Vermutlich haben Sie die Macht, mich zu zwingen, falls ich mich weigere. Und nach Ihrem Gesichtsausdruck und Ihrer rücksichtslosen Vorgehensweise zu urteilen, scheint das auch Ihre Absicht zu sein.«
Pitt versagte sich eine Erwiderung.
»Ihrer Zofe, Miss Tucker«, begann der Anwalt zögernd, »die sie sehr schätzte, hat sie ein hübsches Sümmchen hinterlassen, von dem diese sicherlich bis zum Ende ihrer Tage ihren Lebensunterhalt bestreiten kann. Das Haus hier und alles übrige Vermögen fällt an ihre Großnichte Nerissa Freemarsh. Es handelt sich dabei um mehrere Tausend Pfund. Sofern sie das Geld gut anlegt, wird sie von dessen Erträgen behaglich leben können.«
»Vielen Dank. Gibt es Unterlagen außer den üblichen über Haushalts- und Geldangelegenheiten? Ich denke da zum Beispiel an Tagebücher.«
Der Anwalt sah Pitt unübersehbar selbstzufrieden an. »Nein, nichts dergleichen!«
Zwar hatte Pitt mit dieser Antwort gerechnet, aber es wäre eine sträfliche Unterlassung gewesen, sich nicht danach zu erkundigen.
»Vielen Dank, Mr. Morton. Guten Tag.«
Der Anwalt zuckte schweigend die Achseln.
Am nächsten Tag ließ der Arzt
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