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Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition)

Titel: Mord in Dorchester Terrace: Ein Thomas-Pitt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Schlüssel zum Arzneimittelschrank in der Teeküche der Dienstboten aufbewahrt wurde, und zwar so hoch, dass es Mrs. Montserrat unmöglich gewesen wäre, ihn zu erreichen und sich die Flasche anschließend selbst zu holen. Ich habe diese Angaben nachgeprüft, und sie stimmen. Bei einer gründlichen Durchsuchung des Hauses bin ich auf nichts gestoßen, was ein Eindringen von außen vermuten ließe. Trotzdem will ich diese Möglichkeit nicht ausschließen.«
    Mit finsterer Miene biss sich Narraway auf die Lippe. »Ich nehme nicht an, dass man ihr versehentlich eine zu große Dosis verabreicht hat? Oder, schlimmer noch, dass sie sie absichtlich eingenommen hat?«
    »Keins von beiden. Sie hatte die Flasche mit Sicherheit nie selbst in der Hand, und nachdem ich mit der Zofe gesprochen habe, schließe ich auch aus, dass diese ihr absichtlich mehr als die vorgesehene Menge gegeben hat.«
    »Nicht einmal aus Anhänglichkeit an ihre Herrin?«, fragte Narraway. »Sie hätte sie aus Mitleid töten können, um zu beschleunigen, was unausweichlich war, und bevor sie alles verriet, was sie früher hochgehalten hatte. Ich gebe zu, dass das kein angenehmer Gedanke ist, aber wäre das nicht unter extremen Umständen vorstellbar?« Um seinen Mund legte sich ein Ausdruck von Bitterkeit. »Ich denke, ich wäre in einer entsprechenden Situation dankbar, wenn sich mir gegenüber jemand so verhielte.«
    Pitt dachte darüber nach. Er versuchte sich vorzustellen, wie die gebrechliche alte Zofe ihrer verzweifelten Herrin, der sie ein Leben lang gedient hatte, den letzten Liebesdienst erwies, zu dem sie fähig war, aus Anhänglichkeit einen letzten Akt der Treue gegenüber der Vergangenheit wie auch der Zukunft. Zwar erschien ihm das durchaus plausibel, doch wenn er an Miss Tuckers Gesicht dachte, verwarf er diese Möglichkeit.
    »Nein«, sagte er erneut.
    »Nicht einmal, um ihr zu ersparen, dass ihr ein anderer diesen Dienst erwies, nur auf brutalere Weise? Statt eines friedlichen und lautlosen Einschlafens, nach dem sie nicht mehr erwachte, möglicherweise ein Erwürgen, ein Ersticken unter einem auf das Gesicht gedrückten Kissen?«, fragte Narraway. »Da wäre der Griff zur Opiumtinktur immerhin die sanftere Methode. Sind Sie sicher, dass niemand Zutritt zu ihr hatte? Wie wäre es beispielsweise mit ihrer Großnichte, dieser Miss Freemarsh? Zweifellos hätte sie doch leicht eine Möglichkeit dazu gehabt.«
    »Daran habe ich auch schon gedacht«, gab Pitt zurück. »Es kommt mir so vor, als ob sie mir nicht in jeder Hinsicht die Wahrheit sagte. Ursprünglich dachte ich, vielleicht hatte sie nicht besonders viel für ihre alte Großtante übrig. Sicher ist es ihr – was durchaus verständlich und sogar natürlich wäre – gegen den Strich gegangen, ihre jungen Jahre in Abhängigkeit von ihr als Gesellschafterin und Hilfe im Haushalt zu verbringen, wenngleich in der Hoffnung auf ein Erbe, während sie selbst immer älter wurde, womit ihre Aussicht auf eigene Kinder immer mehr dahinschwand.«
    Narraway zuckte zusammen. »So, wie Sie das darstellen, klingt das ziemlich herb.«
    »Das ist es auch. Aber immer noch besser, als kein Dach über dem Kopf zu haben«, gab Pitt zu bedenken. »Unter Umständen hatte sie gar keine Wahl. Ich werde der Sache nachgehen lassen, für den Fall, dass das von Bedeutung ist.«
    »Und was denken Sie jetzt, warum sie Ihnen die Wahrheit vorenthalten hat?«
    »Jemand könnte sie beeinflusst haben. Ich glaube, sie hat einen Verehrer …«
    Narraway lächelte. »In dem Fall ist ihr Dasein doch nicht ganz so bitter, wie es eben klang.«
    »Kommt darauf an, was für ein Mensch das ist und welche Ziele er verfolgt«, gab Pitt trocken zurück. Wieder einmal kam ihm der Gedanke, dass Narraway vergleichsweise wenig über Frauen zu wissen schien. Es überraschte ihn zu merken, einen wie großen Vorteil es bedeutete, Frau und Kinder zu haben.
    Narraway sah ihn mit ernster Miene an. In seinen Augen lag ein Ausdruck von Trauer.
    »Die arme alte Frau«, sagte er leise. »Dann hat sie also doch jemand umgebracht.« Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Verdammt! Das kann aber nur bedeuten, dass sie Dinge wusste, die nach wie vor jemandem wichtig sind. Sie hat 1848 an zahlreichen nationalistischen Erhebungen teilgenommen und hatte nach wie vor Verbindung zu allen möglichen Leuten, nicht nur in Österreich-Ungarn selbst, sondern auch auf dem gesamten Balkan – in Serbien, Kroatien, Makedonien – und natürlich in

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