Mord in Londinium
am nächsten Tag zu Norbanus zurückschicken zu lassen. Sie konnte das ja ganz höflich machen, aber es war höchste Zeit, dass wir dieses neugierige Paar loswurden.
Ich sehnte mich nach Helena, aber ich wollte erst noch nachschauen, wie es Petronius ging. Wir hatten einander fünfzehn Jahre lang in allen Schwierigkeiten beigestanden. Helena würde von mir erwarten, dass ich ihm Trost spendete. Das bedeutete, falls er trank, würde ich entweder mittrinken oder ihn davon abhalten. Wenn er reden wollte, würde ich zuhören. Zum Hades, falls der arme Kerl schlief, würde ich ihn sogar zudecken.
Aber ihm wurde eine andere Art Trost geboten: Ich entdeckte Maia vor mir. Als ich mich seiner Tür näherte, sah ich sie rasch anklopfen und hineingehen. Um mein Zimmer zu erreichen, musste ich an diesem vorbei. Maia hatte dummerweise die Tür einen Spalt offen gelassen. Vielleicht dachte sie, er würde sie rauswerfen. Wie auch immer, ich konnte nicht weitergehen, ohne dass sie mich sahen. Wieder einmal befand ich mich in einer Position, in der ich meine Schwester wie ein Spion belauschen musste.
»Petronius.« Maia sagte nur seinen Namen. Damit wollte sie ihm wohl eher mitteilen, dass sie da war, als sonst etwas.
Der schwache Schein einer Öllampe, die in der Nähe seines Bettes stehen musste, drang durch den Türspalt. Ich konnte Petro sehen, mit nackten Füßen und einer ungebleichten Untertunika. Er stand am Fenster, lehnte sich auf das Fensterbrett, ließ sich die Nachtluft ins Gesicht wehen. Er drehte sich nicht um.
»Das bringt doch nichts«, meinte Maia. »Schlaf. Du musst dich ausruhen.«
»Ich kann nicht.«
»Was machst du dann?«
»Nichts.« Jetzt drehte er sich um. Er zeigte ihr seine leeren Hände. Aber er hatte ein volles Herz. »Nichts. Ich denke an Silvana und Tadia. Warte darauf, dass der Schmerz nachlässt.«
»Etwas davon wird nachlassen«, sagte meine Schwester.
Petronius stieß einen derben Fluch aus.
»Tja, das beendet den tröstenden Teil des Abends in gutem männlichem Stil!«, witzelte Maia.
»Ich will nicht, dass die Menschen so verflucht nett zu mir sind – das halt ich nicht aus.« Er trat auf sie zu, sodass sie in dem kleinen Zimmer eng beieinander standen. »Ich will nicht bemitleidet oder bedrängt werden, und ich brauch deinen schnippischen Witz nicht. Entweder du gehst, Maia – oder du bleibst verdammt nochmal hier!«
»Wofür entscheidest du dich?«, fragte Maia, aber die Frage war rein rhetorisch, denn sie waren sich in die Arme gefallen.
Als sie sich küssten, war das weder junge, aufblühende Liebe noch bestehende Liebe, die bekräftigt wurde. Das hier war etwas viel Düstereres. Sie waren beide freudlos und verzweifelt. Das hier war etwas Absichtliches, Fleischliches, bei dem für beide nichts Gutes herauskommen würde, dachte ich.
Befreit dadurch, dass sie mit sich selbst beschäftigt waren, konnte ich unbemerkt vorbeischlüpfen. Es gelang mir sogar, die Tür zuzuklinken. Niedergeschlagen ging ich in unser Zimmer.
Helena schmiegte sich an mich, als ich ins Bett kam, ihr Kopf sank an seinen gewohnten Platz auf meiner Schulter. Ich hielt sie liebevoll umschlungen und blieb ruhig liegen, bis sie einschlief. Ich erzählte ihr nicht, was ich gerade gesehen hatte.
XXXVII
Es war noch kaum hell, als mich hektisches Klopfen weckte. Draußen im Flur waren rennende Schritte zu hören. Alarmierte Schreie ertönten, dann hörte ich einen kurzen Befehl, und alles wurde still.
Ich stieg aus dem Bett und öffnete die Schlafzimmertür. Helena murmelte schläfrig hinter mir, als Licht von den Flurlampen hereinfiel. Ein verängstigter Sklave wartete auf mich. Mit zitternder Stimme erzählte er mir, dass die Soldaten, die unsere Gefangenen bewachten, glaubten, dass etwas schief gegangen sei.
Hilaris erschien. Mit zerzaustem Haar und eingehüllt in eine langärmelige Robe wie ein barbarischer östlicher Potentat, bestätigte er das Schlimmste: Pyro war tot aufgefunden worden.
Eine Stunde voll hektischer Aktivität später hatten wir einiges von dem, was passiert war, herausgefunden. Nach sorgfältiger Untersuchung der Leiche war zweifelsfrei klar, dass es sich um einen unnatürlichen Tod handelte. Pyro war der Vollstrecker mit dem Stoppelkinn, nicht sehr kräftig gebaut und doch ein muskulöses, zäh aussehendes Exemplar. Er war etwa fünfunddreißig oder vierzig, ein Alter, in dem viele sterben, aber er war sein Leben lang gut ernährt worden und litt unter keiner
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