Mord in Oxford
Mann auf, den offenbar Penny mitgebracht hatte. Aber schnell stellte sie fest, dass es sich um Gavin handelte. Er hatte sich den Bart abrasiert. Nun gut, dachte Kate, wenigstens hat er sich den Winter dafür ausgesucht. Damit fiel die Blässe seiner unteren Gesichtshälfte weniger auf, als wenn er es im Sommer getan hätte. Sie entdeckte, dass er durchaus kein fliehendes Kinn besaß, was oft der Grund für einen Vollbart war. Das ist mal ein sturer Mund, dachte sie.
»Wie hat der Schlüsseldiebstahl geklappt?«, fragte Camilla, als sie gemeinsam losliefen.
»Wir haben ihn nicht gestohlen, sondern nur geborgt. Alles ging glatt, und wenn Rose ihre Dosen jetzt immer noch nicht zurückbekommt, dann hat sie wenigstens ein halbes Dutzend Mozart-CDs. Wenn das kein Trost ist!«
»Tatsache ist, sie hat keine Möglichkeit, die CDs abzuspielen.«
»Sollen wir deiner Meinung nach jetzt etwa auch noch den CD-Player klauen?«
»Du solltest am besten überhaupt nichts klauen.«
Irgendetwas hat Camilla immer noch auf dem Herzen, dachte Kate. Sie wurden schneller und folgten Penny durch die von Laternen erleuchteten Straßen Fridesleys in Richtung Oxforder Innenstadt. Zum Reden waren sie viel zu sehr außer Atem. Penny beschleunigte weiter und führte sie über eine flache, schnelle Strecke durch stille Sträßchen und an verschlafen daliegenden Colleges vorbei, deren Anblick Kate an vergangene Jahrhunderte erinnerte; an die Zeit, bevor William Morris draußen in Cowley seine Fabrik baute und Oxford mit Automobilen überschwemmte. Über die runden Pflastersteine des Radcliffe Square liefen sie an der massigen Rundung der Radcliffe Camera vorüber, aus deren Heizanlage sich ein weißes Dampfwölkchen in die stille Luft kräuselte. Das Gebäude sah so düster aus wie Roses Emaille-Dose. Eine Sekunde lang glaubte Kate, die gewaltige Kuppel aufschwingen und die leeren Augenhöhlen eines bleichen Totenkopfs über die Zinnen lugen zu sehen. Stirb , um zu leben? Das gehörte ganz bestimmt nicht zu ihrer persönlichen Philosophie. Sie joggten durch die schmale Gasse, in der die Fernsehgesellschaft ihre Wohnwagen zu parken pflegte, wenn mal wieder ein Inspektor-Morse-Film 1 gedreht wurde, und bogen nach links in die Turl Street ab.
»Was mag das wohl bedeuten: Lebe , um zu sterben , und stirb , um zu leben? «, fragte Sophie plötzlich. Ihre Stimme war ganz dicht hinter Kates Schulter. Offenbar hatte die gegenüber ihrer Umgebung wuchtig wirkende Radcliffe Camera bei ihr die gleiche Assoziation hervorgerufen wie bei Kate. »Ein komischer Spruch, findest du nicht?«
»Vermutlich bedeutet es, dass man jeden Tag nur das Rechte tun und den Gedanken an den Tod nicht beiseite schieben sollte«, sagte Kate langsam. »Und sicher auch, dass der Glaube das Tor zum ewigen Leben öffnet. Zumindest, wenn man im irdischen Leben alles so einigermaßen richtig macht.«
»Das könnte in ziemliche Zwanghaftigkeit ausarten, findest du nicht?«, mischte Camilla sich ein. »Wenigstens, wenn man es sehr wörtlich nimmt. Könnte man dann noch jemals einmal fünf gerade sein lassen und einfach Spaß haben? Oder irgendetwas Ungezogenes tun, ohne gleich ein schlechtes Gewissen zu haben?«
»Ich glaube, diese Trauer-Dosen waren hauptsächlich dazu da, hübsch auszusehen und daran zu erinnern, dass jeder von uns eines Tages sterben und vor Gericht erscheinen muss und dass man sich besser anständig benehmen sollte.«
»Trotzdem finde ich es merkwürdig«, beharrte Sophie. »Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr mögliche Bedeutungen fallen mir ein.«
»Aber alle sind irgendwie traurig«, sagte Kate, die allmählich genug von diesem Gespräch hatte und lieber an etwas Fröhlicheres denken wollte.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als sie Fridesley bereits wieder erreichten. Penny schloss ihre Haustür auf und scheuchte alle in die Küche.
Penny delegierte gern. Kate und Camilla bekamen den Auftrag, Kaffee aufzubrühen und auszuschenken, während Penny das Treffen organisierte und Barbara Protokoll führte. Gleich verteilt sie eine Liste mit den Tagesordnungspunkten, dachte Kate, aber Penny kam dann doch schnell zur Sache.
»Wir haben also jetzt Lyndas Haustürschlüssel, richtig?«
»Richtig.«
»Wissen wir mittlerweile, wo die Dosen aufbewahrt werden?«, wollte Barbara wissen.
Kate beschrieb die Vitrine, in der die Dosen standen, und Barbara schrieb fleißig mit.
»Wie viele sind es? Wie groß sind sie? Was wiegen sie?«
»Ist das nicht
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