Mord in Oxford
eigentlich klar, dass jeder hier im Raum dir in allen Einzelheiten zuhören konnte? Und dabei hast du bisher lediglich wilde Vermutungen von dir gegeben.«
»Und was ist mit der Oxford-Dose?«, fragte sie keinen Deut leiser, ohne auf Andrews Vorhaltungen zu achten.
»Meinst du diese dunkelblau emaillierten Trauer-Dosen, die um 1830 herum von John Parrish in Wolvercote hergestellt wurden?«, wollte Andrew wissen.
»Hast du sie gesehen?«
»Ich habe schon einmal eine gesehen.« Andrew kaute sorgfältig, schluckte und trank ein halbes Glas Wein. »Ich glaube, sie sind heutzutage edle Sammlerstücke. Was für ein memento mori steht auf dem Giebel?«
»Lebe, um zu sterben, und stirb, um zu leben«, antwortete Kate.
»Äußerst nett.«
»Yvonne hat Lynda angerufen, sie solle Theos Oxford-Dose zu ihr herüberbringen, was sie wohl auch getan hat. Soviel ich weiß, hat sie Yvonne die Dose gegeben.«
»Ist sie denn noch im Haus?«
»Sophie sagt Nein. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass ich sie seither noch einmal gesehen habe.«
»Wo denn? Wer hat sie jetzt?«
»Ich bin mir nicht ganz sicher. Es wäre nicht fair, jemanden einfach so zu beschuldigen.«
»Wenn du den findest, der die Dose jetzt hat, hast du wahrscheinlich auch deinen Mörder.«
Daran hatte Kate ebenfalls gedacht. Vielleicht hatte Carey sie in Yvonnes Haus gefunden; vielleicht hatte aber auch Camilla sie genommen und an Carey weitergegeben. Carey, Camilla, Gavin. Alle drei schienen ihr höchst verdächtig; trotzdem konnte Kate einfach nicht glauben, dass einer von ihnen Yvonne wirklich umgebracht hatte. Eigentlich mochte sie Carey nicht besonders, aber sie verstand durchaus, was Camilla an dem jungen Mann reizte. Wie könnte sie es jemals übers Herz bringen, Camilla zu erklären, ihr Liebhaber sei ein Mörder? Und dann gab es noch die Möglichkeit, dass Carey bereits bei Yvonne gewesen war, als Camilla hereinschneite. Weder Camilla noch Carey mochten, jeder für sich genommen, Mörder sein, aber was war, wenn die zwei sich zusammengetan hatten? Und dann die beiden Mistkerle, von denen Judas gesprochen hatte. Waren es Davies und Grant? Oder gar Gavin?
Andrew bestellte Kaffee und Zimtapfelkuchen und wischte den leisen Hinweis auf ihre Diät mit einer Handbewegung beiseite. »Heute Nachmittag wirst du eine Menge Kraft brauchen, Liebes.« Kate aß ihren Nachtisch äußerst damenhaft mit Messer und Gabel. Sie wollte ein wenig von ihrem Verhalten wieder gutmachen – schließlich würde Andrew für das Essen bezahlen.
Der junge Leicester-Dozent stand auf. Kate spürte seine Blicke im Rücken.
»Glaubst du, er hat verstanden, worüber wir gesprochen haben?«, flüsterte sie Andrew zu.
»Jeder in diesem Teil des Restaurants konnte dich klar und deutlich hören«, sagte Andrew und bat um die Rechnung.
Draußen auf dem Cornmarket fielen dicke Regentropfen auf die Schirme entmutigter Einkäufer und die nackten Handgelenke Fahrrad fahrender Studenten. Ein junger Mann spielte Bach auf einer Geige; wie viele Studenten verdiente er sich so ein paar Pennys dazu. Kate fischte ihr Portemonnaie aus der Handtasche.
»Du solltest so etwas nicht auch noch unterstützen«, kritisierte Andrew, bog in die Broad Street ab und ging auf die Bodleian zu. Kate ließ ein erheblich größeres Geldstück in den Hut des Straßenmusikanten fallen, als sie ursprünglich vorgehabt hatte, und hastete hinter Andrew her. Vor der Michaelskirche saß eine Gruppe Bettler; mit ihren ungekämmten Haaren und ihren verlausten Kötern wirkten sie erheblich bedrohlicher als der junge Geiger. Lautstark und aggressiv forderten sie eine milde Gabe. Einer der Bettler spielte auf einer Tin Whistle. Sein Hund hatte sich neben ihm zusammengerollt und schlief mit der Schnauze auf dem Knie seines Herrn. Kate meinte, Judas und Beck erkannt zu haben, war sich aber nicht ganz sicher.
Gemeinsam mit Andrew erreichte sie den zivilisierteren Teil der Broad Street, der zur Bibliothek führte. Selbst im grauen Regenwetter wirkte das Gebäude mit seinen gezackten Zinnen und den großen Fenstern der Lesesäle äußerst beeindruckend.
Auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Clarendon Building hatte ein Filmteam ein Straßencafé mit gestreiften Sonnenschirmen aufgebaut, unter denen lachende Menschen in Sommerkleidern saßen. Hinter den Tischen standen Kästen mit gelben und weißen Dahlien.
»Die drehen einen Werbefilm«, erklärte Andrew, »um noch mehr Touristen aus dem Ausland anzulocken.«
»Werden die nicht
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