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Mord in Thingvellir

Mord in Thingvellir

Titel: Mord in Thingvellir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Blómkvist
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Kleidungsstücke.
    Er hat in den ganzen Jahren nicht ein einziges Stück weggeschmissen. Der ganze alte Kram ist noch da.
    Das ist doch verrückt!
    Elín Edda kommt die Treppe herunter. Sie trägt einen bunten Seidenschal um den Hals mit hübschen weißen und roten Rosen auf hellblauem Grund.
    »Das ist aber ein schickes Halstuch«, sage ich.
    »Hat dir das früher einmal gehört?«
    »Mir? Nein. Warum fragst du?«
    »Ich habe es neulich hier unten in einer der Kisten gefunden«, antwortet Elín Edda. »Ich durfte es mir doch leihen?«
    »Von mir aus.«
    Ich betrachte eine Weile das Durcheinander der offenen Kisten vor mir auf dem Fußboden. Als ob hier ein Wirbelsturm gewütet hätte.
    Am liebsten würde ich in den nächsten Tagen ein großes Lagerfeuer machen. Die Vergangenheit in die Flammen werfen. Diesen ganzen verdammten Kram beseitigen.
    Verbrennen. Vernichten.
    Elín Edda geht nach mir die Treppe hoch und setzt sich im Wohnzimmer vor den Fernseher. Sie verfolgt gespannt einen Bericht über die Ermittlungen bezüglich des Leichenfundes im Ertränkungspfuhl. Obwohl da nichts Neues erwähnt wird.
    »Es ist wirklich schlimm zu ertrinken«, sagt Elín Edda, als der Pfuhl wieder auf der Mattscheibe auftaucht.
    »Woher weißt du das?«
    »Es dauert so wahnsinnig lange, bis man tot ist«, antwortet sie und schließt halb die Augen. »Es ist, als ob man im Schwimmbad taucht und den Atem superlange anhält, aber dann kann man nicht mehr, und man muss auftauchen. Aber wenn man ertrinkt, kommt man nicht mehr vom Grund hoch und muss Wasser anstelle von Luft einatmen und dann immer mehr und mehr Wasser, bis es nicht mehr geht, weil man eh schon so viel Wasser in den Lungen hat, und dann ist man ertrunken.«
    Sie öffnet die Augen wieder. Und lächelt.
    Ich starre sie an. Bin wirklich sprachlos, was mir noch nie passiert ist.
    Am Abend nehme ich den braunen Kleiderschrank im Schlafzimmer in Angriff.
    Die oberen Fächer sind mit altem Kram vollgestopft. Sammelmappen. Fotoalben, Und Videokassetten, die handschriftlich mit Jahreszahlen versehen sind.
    Ich lege eine Sammelmappe auf das Bett. Beginne, die aufgeklebten Zeitungsausschnitte durchzugucken. Sehe, dass die meisten Artikel von Gerichtsfällen handeln, die es bis auf die Titelseiten gebracht haben. Verhandlungen, die ich als Anwältin vertreten habe.
    Er scheint die ganzen Jahre anhand von Zeitungsberichten verfolgt zu haben, was ich mache. Wie ein durchgeknallter Fan in einem amerikanischen Krimi.
    »Verborgene Glut glüht am längsten.«
    Sagt Mama.

20
    Mittwoch, 1. September
    Ich kann nicht einschlafen.
    Die alten Fotografien haben mein Inneres komplett auf den Kopf gestellt. Haben sich einen Weg durch die dicken Gefängnismauern gesprengt. Haben Erinnerungen aus Jugendjahren wieder zum Vorschein gebracht. Erinnerungen, die ich schon vor langer Zeit in die tiefsten Müllkeller des Unterbewusstseins verbannt habe.
    So manches Wiedersehen tut weh.
    Andere bringen mich unwillkürlich zum Schmunzeln. Im Stillen.
    Am meisten überrascht mich beim Anblick der Fotos, dass wir einmal eine richtige Familie gewesen sind. Drei Menschen, die zusammen Spaß und Zufriedenheit in den kleinen alltäglichen Dingen finden konnten.
    Das hatte ich völlig vergessen. Hatte alle guten Kindheitserinnerungen hinter dem Schmerz und der Wut meiner Jugendjahre versteckt. Hinter dem dunklen Schatten des Vernichtungskriegs, den wir gegeneinander geführt haben. Er und ich.
    Ich hatte immer das Gefühl, letztendlich die Schlacht gewonnen zu haben. Als ich von zu Hause weggegangen bin. Mit sechzehn.
    Aber ist es möglich, es als Sieg zu bezeichnen, wenn man sich durch Flucht vor einem Diktator rettet?
    Der Sieg war jedenfalls nie süß. Manchmal regelrecht bitter. Sogar jetzt noch, wenn ich in seinem Bett liege, er aber im geschlossenen Sarg.
    Manche Fotos sind ein unanfechtbarer Beweis dafür, dass wir einmal zusammen spielen konnten. Zusammen lächeln, zusammen lachen konnten.
    Ich betrachte lange unsere fröhlichen Gesichter auf einem alten Foto.
    Ich sitze lachend auf seinem Schoß. Vor unserem grünen Zelt. Als wir in Atlavík gecampt haben.
    Aber was ist dann passiert? Warum hat er sich in einen so schrecklichen Feind verwandelt? In einen Gegner, der bedingungslose Aufgabe und Untergebenheit gefordert hat?
    Darauf weiß ich keine Antworten.
    Schließlich stehe ich auf. Gehe zum Fenster. Sehe zum Berg hinauf, dessen bizarre Gipfel im fahlen Mondschein bedrohlich gen Himmel weisen. Und

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