Mord in Thingvellir
schüttelt den Kopf.
»Ich hatte dort oben schlechte Sicht wegen zu vieler Nebelbänke, und deshalb war es schwierig, ein Tier vor die Flinte zu bekommen. Aber mir wurde gesagt, dass sich der Nebel im Hochland gelichtet hat, so dass ich einen oder zwei Renbullen erwischen sollte, bevor mich die Pflicht wieder nach Reykjavík ruft.«
Ich finde Jagdsport wirklich widerlich.
Natürlich weiß ich, dass im Tierreich des einen Tod des anderen Brot ist. Der Instinkt ist eine Notwendigkeit, um zu überleben.
Aber lebende Kreaturen zum eigenen Spaß umzubringen?
Das ist doch krank.
Mein Pflichtgefühl schnürt mir die Kehle zu. Ich hoffe, dass sich die Gäste so schnell wie möglich verabschieden.
Björn auf Saeból watschelt zu mir herüber.
»Also, meine Liebe«, sagt er und tätschelt mir die Schulter, »was hast du jetzt mit deinem väterlichen Herrenhaus vor?«
»Ich will das Land verkaufen.«
»Ein wirklich guter Schachzug; es ist vernünftig, zu verkaufen. Es ist wirklich ein hoffnungsloses Geschäft, so eine Bauernhofübernachtung in Gang zu halten.«
»Das hat damit nichts zu tun«, antworte ich und entziehe mich seiner riesigen Pranke. »Das Sommerhotel hat in den letzten Jahren einen ansehnlichen Gewinn abgeworfen.«
»Ach, wirklich? Und trotzdem hat Kalli sich immer darüber beschwert, wie schwierig es sei, dieses Hotel zu halten.«
»Ich gehe fest davon aus, dass ich einen guten Preis für Klettur bekomme.«
»Soll ich dir das Land nicht abnehmen?«, fragt Björn eifrig. »Ich habe ein paar Sommerhäuser auf Saeból und ich bin sicher, dass es günstig wäre, die Betriebe miteinander zu verbinden.«
»Dann mach mir ein gutes Angebot.«
»Ja, meine Liebe, das werde ich sofort nach dem Wochenende in Angriff nehmen.«
Wahrscheinlich hat Björn auf Saeból Recht. Begräbnisse und Geschäfte passen wirklich gut zusammen. Jedenfalls genauso gut wie Stimmenfang.
Ich muss noch ein paar Dinge mit Pfarrer Finnbogi besprechen, bevor ich wieder in die Stadt fahre. Aber der junge Gemeindepfarrer ist schon im Aufbruch.
»Ich wurde zu einem sechzigsten Geburtstag eingeladen, der sogar schon begonnen hat«, sagt er entschuldigend und guckt auf die Uhr.
»Aber ich wollte morgen ganz früh wieder nach Reykjavík fahren.«
»Ach so«, antwortet er nachdenklich. »Ich werde wahrscheinlich heute Abend gegen zehn wieder zu Hause sein, wenn dir das passt.«
»Sollen wir uns dann in der Kirche treffen?«
»Das ist wahrscheinlich das Beste, ich muss sowieso noch den Gottesdienst für morgen vorbereiten, bevor ich schlafen gehe.«
Als der letzte Gast aus dem Speisesaal verschwunden ist, haste ich hinüber ins Wohnhaus, die Treppen hinauf und ins Badezimmer. Ziehe alle Kleider aus. Stelle mich unter die heiße Dusche.
Ich wasche die Müdigkeit aus meinem Körper. Und versuche dabei, meine Seele von den unerträglichen Reizen des Tages zu reinigen. Schüttele diesen ganzen Blödsinn von mir ab wie lästiges Ungeziefer.
»Allein derjenige, der sich selbst besiegt, ist stark.«
Sagt Mama.
22
»Aaa!«
Das brennend heiße Feuerwasser rauscht angenehm durch meinen ganzen Körper.
Ich sitze vor dem Fernseher. Auf dem Parkettfußboden im alten Wohnhaus. So, wie ich es früher als Kind immer getan habe. In einem früheren Leben. Bevor die Welt schwarz-weiß wurde.
Die Videokassetten aus dem braunen Kleiderschrank liegen neben mir. Und ein Glas mit dreifachem Jackie.
Ich kann’s wirklich gebrauchen.
Ich genehmige mir noch einen Schluck. Bevor ich die älteste Kassette in den Recorder stecke.
Die ersten Filme, die er mit der Kamera gemacht hat, waren vom Campingurlaub in Atlavík. Man merkt es ihnen an, dass er keine Übung im Filmen hatte. Die einzelnen Szenen sind kurz und seine Bewegungen schnell. Manchmal schien er sogar vergessen zu haben, dass die Kamera lief.
Aber seine Filme werden immer besser.
Die meisten sind von mir. Und Mama. Aber auch von unserem Zelt und der Bucht und dem Wald. Er selbst steht immer hinter der Linse.
Später hat er Filme vom Hotel Klettur gemacht. Vom Wohnhaus, den Bergen ringsum. Vom Fluß, den hoch aufragenden Felsen. Vom Wasser und vom Tal.
Ein Geburtstag. Zwölf kleine Kerzen stehen auf der Torte, die Mama gebacken hat. Ich blase die Kerzen aus.
Weihnachten. Festessen an Heiligabend. Gebratene Lammkeule. Karamellisierte Kartoffeln. Geschenke unter einem echten Weihnachtsbaum.
Mir kommt es vor, als würde ich fremden Leuten zusehen. Menschen, die ich nur vom Hörensagen
Weitere Kostenlose Bücher