Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)
halbdurchtrennten Sehnen und Muskeln. Es war keine Zeit zu verlieren, nur eine sofortige Amputation konnte den Patienten retten.
Nach dem Eingriff ließen die Chirurgen Dr. Fries und Dr. Paul sich die Krankengeschichte kommen und staunten nicht schlecht: Emil Mareks Frau Martha hatte angegeben, dass ihr Mann eine Holzpuppe mit der Axt habe spalten wollen und dabei sein Ziel verfehlt hätte – das scharfe Werkzeug habe sich mit voller Wucht ins Bein ihres Gatten gebohrt. Zwei weitere tiefe Wunden allerdings machten die Chirurgen stutzig: War es möglich, dass ein Mensch sich aus lupenreiner Berechnung ein Bein abhackt? Zwar kannten sie einen solchen Fall weder aus der Fachliteratur noch aus ihrer ärztlichen Praxis, trotzdem meldeten die Mediziner ihre Wahrnehmungen der Gendarmerie. Diese wiederum verständigte die Anglo Danubian Lloyd, denn es stand ja der enorme Betrag von 400.000 Schilling zur Debatte.
Ein Inspektor der Versicherung hörte sich in Kollegenkreisen um, erfuhr vom verdächtigen Brandschaden, für den eine Konkurrenzgesellschaft aufgekommen war, und schaltete die Gerichtsmedizin ein. Dr. Werkgartner untersuchte das schlussendlich gefundene Bein, das man unter dubiosen Umständen hatte unterschlagen wollen, und kam zu dem Ergebnis, dass der schwer verschuldete Emil Marek sich aus Liebe zu seiner Frau vorsätzlich und bei vollem Bewusstsein mit drei Axthieben den linken Unterschenkel abgeschlagen hatte. Dieser Meinung schloss sich auch die Staatsanwaltschaft an, und die Anklage wegen Versicherungsbetrugs folgte umgehend.
Die Gerichtskiebitze hatten ihre Freude an der sensationellen Story, die um die ganze Welt ging. Allerdings beurteilten sie die Sachlage ganz anders: Da will eine millionenschwere, gewinnsüchtige Versicherung mit allen erdenklichen Mitteln einen armen Krüppel und seine bildhübsche Frau um die ihnen zustehende Prämie prellen! Der Reporter Felix Salten nennt Martha Marek, die ihre blonden Zöpfe zur Hochsteckfrisur aufgetürmt trägt, sogar einen Engel.
Im vollbesetzten Saal des Wiener Landesgerichts herrscht großer Aufruhr, als bekannt wird, dass die Angeklagte die Chirurgen Dr. Fries und Dr. Paul in der Voruntersuchung bezichtigt hat, die beiden verdächtigen Schnitte am Bein nachträglich vorgenommen zu haben. Doch als der Spitalsdiener in den Zeugenstand tritt und vereidigt werden soll, ist klar, wer hier lügt: Der OP-Gehilfe, dessen Monatsgehalt 120 Schilling brutto beträgt, gibt mit Beschämung zu, dass Frau Marek ihm 10.000 Schilling geboten hat, wenn er das Corpus Delicti samt ärztlichem Attest beiseite schafft.
Sogleich lässt der Richter den Spitalsdiener verhaften und verurteilt das Ehepaar wegen Verleumdung und Bestechung. Vom Versicherungsbetrug aber spricht er die beiden Angeklagten frei. Emil muss für vier Monate ins Gefängnis und erhält nur eine kleine Entschädigung für sein abgehacktes Bein. Das Handwörterbuch für Gerichtliche Medizin vermerkt dazu in zwei lapidaren Sätzen: „Charakteristisch sind die beiden Hiebe oberhalb des Sprunggelenks. Emil Marek konnte sich mit 15 Prozent der Versicherungssumme ausgleichen; diese Genügsamkeit darf wohl zweifellos als Eingeständnis der Selbstbeschädigung gelten.“
Martha Marek selbst wird zu drei Monaten Haft verurteilt und erweitert hinter Gittern ihr kriminelles Repertoire um eine ansehnliche Facette: Sie absolviert eine Lehre bei der Rattengift-Mörderin Leopoldine Lichtenstein.
Vier unentdeckte Morde
Aus der Haft entlassen, sehen die Mareks sich neuerlich mit finanziellen Engpässen konfrontiert. Schulden müssen bezahlt werden, der Prozess hat Unsummen verschlungen, ein von Emil gegründetes Taxiunternehmen geht Pleite. Das Ehepaar versucht sein Glück in Algerien – und scheitert. Nach der Reimmigration finden Martha und Emil, die inzwischen zwei Kinder haben, Unterschlupf in einer heruntergekommenen Schrebergartenhütte in Wien-Penzing. Martha kann den gesellschaftlichen Abstieg nicht verwinden, Emil und die Kleinen bekommen ihre Verbitterung zu spüren. Der Ehemann wird geschlagen, als Krüppel beschimpft und bekommt nur wenig zu essen. Auch die Kinder – Alfons und Inge – müssen hungern und werden mit Spuren von Misshandlung tagelang zu den Nachbarn geschickt.
Da fängt im Juli 1932 Emil zu kränkeln an, er leidet an starken Leibschmerzen sowie Lähmungserscheinungen der Sprach- und Schluckorgane. Martha gibt vor, ihn liebevoll und unermüdlich zu pflegen, will aber von ärztlicher Hilfe
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