Mord inclusive
erlebte ich in der Schule öfter, besonders bei Lehrern. Mir selbst war es auch schon passiert. Da hatte ich in einer Klasse einen phantastischen Schüler, und wenn im Jahr darauf ein Geschwisterkind auftauchte, dann erwartete ich die gleiche Leistung. Manchmal klappte es, manchmal nicht. Das Gleiche galt auch andersherum. Geschwister von Störenfrieden taten mir leid und ich behandelte sie mit Nachsicht. Aber ich beobachtete sie stets genauer als andere. Das war nicht fair, aber so war es eben.
Alan schaute auf den Fluss hinaus. Er schien seine Worte sorgfältig abzuwägen. »Manchmal geraten wir mit einem Bruder oder einer Schwester in etwas hinein, und dann gehen sie weiter, als wir es möchten. Aus so etwas kommt man schwer wieder heraus.«
»Hat Ihr Bruder Sie in die Bredouille gebracht, oder war es umgekehrt?«, fragte ich mit einem Lächeln. Ich konnte ihn mir bei allem Möglichem vorstellen, aber nicht in wirklichen Schwierigkeiten. Er wirkte auf mich wie ein anständiger Kerl.
Er überhörte meine letzte Frage und fuhr in ernstem Ton fort: »Ich denke, man muss nicht immer alles zu Ende bringen, was man einmal angefangen hat. Wenn jemand einen in etwas hineinzieht, was schiefgeht, dann gibt es immer einen Weg zurück. Man dreht sich einfach um und geht nach Hause. Selbst wenn es zu spät zu sein scheint, aber meist ist es das nicht.«
Ich kniff die Augen zusammen und ließ seine Worte auf mich wirken, als würden sie dadurch verständlicher. Sie wurden es nicht. Wovon zum Teufel redete er da? Das Zwielicht färbte alle Schatten rings um uns purpurrot, und die letzten Sonnenstahlen tauchten den westlichen Horizont in ein tiefes Violett. Seine Augen sahen jetzt dunkelgrau aus, als er mich mit einer tiefen Sorgenfalte auf der Stirn anblickte. Er beugte sich nach vorn, als wollte er mir etwas sehr Wichtiges mitteilen, aber ich begriff nicht, was es war. Ich musste an seine Fragen im Hotel denken, daran, wie er sich so nahe bei Kyla hielt und in ihre Tasche geschaut hatte, als man sie im Flughafen kontrollierte, daran, wie sehr ihn unsere Begegnung mit Aladin interessierte, und nun seine merkwürdigen Worte.
»Wovon soll man weggehen?«, fragte ich schließlich, als mir das Schweigen zwischen uns zu lange dauerte.
Er setzte sich plötzlich wieder ganz gerade auf die Bank, zuckte dann die Achseln und stand auf. »Es ist nicht so wichtig.« Er schaute ernst und auch etwas enttäuscht drein, als hätte ich etwas Falsches getan.
»Sagen Sie mir doch, was Sie meinen«, bat ich ihn. Meine Stimme klang ein wenig flehend, was mir gar nicht gefiel.
»Machen Sie sich keine Gedanken. Lassen Sie uns zurückgehen. Es ist Zeit für das Abendessen.«
Und Kyla würde dann vor Wut platzen, wenn sie uns gemeinsam kommen sah? »Nein, lieber nicht. Ich bleibe noch ein paar Minuten hier sitzen. Gehen Sie ruhig schon vor.«
Ich blickte ihm nach, wie er den Weg hinaufschritt, bis er außer Sichtweite war. Er schaute sich nicht um.
Dienstag, Abu Simbel
Sie genießen am Vormittag freie Stunden in Assuan oder unternehmen eine Exkursion nach Abu Simbel nahe der sudanesischen Grenze – Sie entscheiden. Dort besichtigen Sie die gewaltigen Sandsteintempel von Ramses II. und dessen geliebter Gemahlin Nefertari. Die Bauten wurden erstmals im frühen 19. Jahrhundert vor dem Wüstensand und dann noch einmal in den 1960er Jahren vor dem steigenden Wasser des Nils gerettet. Am Nachmittag besteigen Sie Ihr luxuriöses Kreuzfahrtschiff und beginnen Ihre Fahrt auf dem Nil, Ägyptens Schicksalsfluss.
Flyer von WorldPal
6. KAPITEL
KLEIDERTAUSCH UND TRAUMFLUG
Als ich erwachte, war es noch dunkel. Aus dem Lautsprecher jenseits des Flusses erklangen Gebete. Die Digitaluhr auf meinem Nachtschränkchen zeigte 4.30 Uhr. Kyla im anderen Bett atmete ruhig, lag also noch in tiefem Schlaf. Jetzt hätte man eine Kanone abschießen müssen, um sie zu wecken. Ich schlüpfte aus dem Bett, schob vorsichtig die Glastür auf und trat auf den Balkon hinaus. Rasch kam ich zurück, nahm die Tagesdecke vom Bett und legte sie mir um die Schultern. So war die eisige Morgenkälte zu ertragen. Die Lichter des Hotels spiegelten sich als schwankende Streifen im Wasser. Unter seiner ruhigen Oberfläche strömte der Nil schnell dahin. Der eiskalte Beton unter meinen nackten Füßen jagte einen kleinen Schauer durch meinen Körper. Von den unheimlichen Lauten des Morgengebets, meinen Ohren so fremd, standen mir die Nackenhaare zu Berge. Die
Weitere Kostenlose Bücher