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Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman

Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman

Titel: Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Granger Ann
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dargestellt war, schaukelte und ächzte über dem bis zur halben Höhe des Hauses reichenden Fachwerk im Wind. Die kleinen, staubigen Fenster blickten wie leere dunkle Augen, und die wuchtige Bohlentür wollte dem Druck ihrer Hand kein Stück nachgeben. An der Tür war eine kleine Plakette angebracht, der Meredith entnehmen konnte, daß es sich bei dem Wirt um einen gewissen Harry Linnet handelte. Sie schaute auf ihre Uhr. Es war längst sechs, aber auch wenn Mr. Linnet irgendwo da drin hockte und Gläser polierte, so war doch keine Spur von ihm zu sehen. Vielleicht öffnete er ja nur, wenn er Lust dazu hatte. Meredith rümpfte die verwöhnte Nase. Der Geruch von schalem Bier, Aschenbechern und ungelüfteten Räumen drang aus dem Haus. Sie vermutete, daß es innen genauso aussah wie in einem Pub kurz vor Dover, in den sie geraten war, weil er nach außen hin mit dem Charme von »Good Old England« lockte, als sie nach einer ungemütlichen Kanalüberquerung auf der Autofähre endlich an Land gehen konnte. Das Innere des Pubs war eng und schmuddelig gewesen, dazu vollgestopft mit Einarmigen Banditen, Space Invaders und Zigarettenautomaten, und die Ohren wurden ihr mit unerwünschter Reggaemusik vollgedröhnt.
    Sie kehrte dem »Dun Cow« den Rücken, schüttelte sich ihr glattes braunes Haar aus dem Gesicht, schob die Hände deprimiert in die Taschen ihrer Jeans und musterte ihre Umgebung mit tiefem Mißtrauen.
    Sie mußte widerstrebend zugeben, daß sie sich hier, in ihrem eigenen Land, fremder fühlte als sonstwo auf der Welt. Jeder Heimaturlaub, jede Lükke zwischen zwei Überseeposten bewiesen ihr jedesmal aufs neue, daß sie hier inzwischen ebenso eine Ausländerin war wie all jene Ausländer »guten Glaubens«, unter denen sie gewöhnlich lebte. Sie war dafür bestraft worden, daß sie, bedingt durch ihren Konsulardienst, eine zu lange Zeit als Weltenbummlerin in fremden Ländern gelebt hatte. Sie, die auf ihre eigene bescheidene Weise England im Ausland repräsentierte, hatte sich langsam und unerbittlich in eine weitere Ausländerin verwandelt, wie sie immer dann feststellen mußte, wenn sie nach Hause kam.
    In diesem Moment durchdrang ein merkwürdiger, unartikulierter Schrei die Luft, und Meredith fuhr vor Schreck zusammen. Eine seltsame Gestalt, eine menschliche Spinne mit einer Leinenmütze, tauchte seitlich hinter dem rechten der beiden Farmarbeitercottages auf – dem Cottage mit dem penibel gepflegten Garten – und wieselte heiser kreischend auf die Gartentür zu.
    »Raus mit dir, du ausländisches Miststück!« heulte die Erscheinung, und Meredith fragte sich erschrocken, ob sie etwa gemeint war, so deutlich schien die Beschimpfung Bezug auf ihre eben gehegten Gedanken zu nehmen. Während sie dastand und schaute, begann die Gestalt ein für sie nicht sichtbares Objekt mit kleinen Steinen zu bewerfen, von denen sie offenbar einen reichlichen Vorrat in ihren Taschen hatte.
    »Du warst in mei’n Karotten, verflucht noch mal
– hau bloß ab!« Die Erscheinung tanzte mit unbeholfenen Bewegungen an der Gartentür herum und schüttelte die Fäuste. »Ich zieh dir das Fell ab, du pelziges ausländisches Ungeziefer, wenn du nich’ von mei’m Frühjahrskohl wechbleibst!«
    Eine siamesische Katze erklomm mit einem Satz die Mauer zwischen den beiden Cottages und sprang, von einer Flut von Beschimpfungen und Kieselsteinen verfolgt, in den anderen Vorgarten hinunter, der eine einzige wuchernde Wildnis war. Die Haustür des dazugehörenden Cottages ging auf, und ein Junge in Jeans und einem abgetragenen roten Sweatshirt kam heraus.
    »Um Himmels willen, Bert«, rief er, »nun mach nicht schon wieder so ’n Theater!« Die Stimme klang kultiviert, und sein Auftreten war, trotz seiner Worte, geduldig und freundlich. Meredith ertappte sich bei dem lächerlichen Gedanken, daß er wie ein sehr netter Junge aussah.
    »Eins von dei’n ausländischen Katzenviechern hat wieder in mei’n Karotten gebuddelt!« schrie der uralte Mann. »Un’ sein Geschäft in mei’n Salat gemacht. Ich hab’ es gesehn – sein böses schwarzes Gesicht und den krummen Schwanz. Ich hab’ dir gesacht, halt die Viecher aus mei’m Gemüse raus.«
    Der Junge bückte sich und nahm die Siamkatze auf, die sich in seinem Arm aufrichtete und hochmütige Blicke auf ihren Angreifer warf, der jetzt so in Wut geriet, daß Meredith fürchtete, er könnte einen Anfall bekommen.
    »Wart einen Moment«, sagte der Junge in vernünftigem Ton. »Das kommt

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