Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman
schlimmer«, sagte Eve. »Viel schlimmer, als ich es dir geschrieben habe.« Sie machte eine Geste der Verzweiflung, die bestimmt echt war, aber trotzdem ein bißchen theatralisch wirkte. Meredith empfand plötzlich tiefes Mitleid mit ihr, und dieses Gefühl durchfuhr sie wie ein Schmerz. »Ich habe alles falsch gemacht, Meredith«, sagte Eve düster. »Als Mutter habe ich alles falsch gemacht.«
»Nun komm schon. Du liebst Sara über alles, das weiß ich.«
»Ja, das tu ich.« Enttäuscht über sich selbst ballte Eve die Fäuste. »Aber trotzdem habe ich bei der Erziehung total versagt. Michael wäre mit mir nicht einverstanden gewesen.«
Ein zweiter, noch schmerzhafterer Stich bohrte sich Meredith ins Herz. »Nein, wahrscheinlich nicht.«
»Mike war so praktisch. Er war der Richtige für mich, Merry.« Eve seufzte. »Wenn wir uns nicht getrennt hätten, als Sara acht Jahre alt war, wenn er weiter dagewesen wäre, wäre alles anders verlaufen. Wir wollten es noch einmal miteinander versuchen, weißt du, als dieser verfluchte Bengel …«
Meredith streckte die Hand aus und legte sie ihrer Cousine auf den Arm. »Reg dich jetzt nicht mehr darüber auf, Eve. Es ist vorbei und längst vergangen.« Die Worte klangen sogar in ihren eigenen Ohren hohl. Sie wußte, daß es nicht so war. Laut sagte sie: »Du hast für Sara dein Bestes getan, Evie.«
»Nein, hab ich nicht. Ich habe alles verdorben. Nie hatte ich Zeit, so war es. Und meine zweite Ehe mit Hughie – nun, ich will nicht wieder alles aufwärmen. Du kennst die schmutzigen Einzelheiten. Aber das alles hat mich noch mehr von der armen Sara abgelenkt. Dann war sie plötzlich kein kleines Mädchen mehr, sondern ein Teenager und trieb sich mit der wildesten Clique herum, die du dir vorstellen kannst.« Eve hielt inne und schob das Teetablett zur Seite. »Wer will überhaupt Tee? Es ist nach fünf. Wie wäre es mit einem richtigen Drink?«
»Nicht für mich, danke. Später.«
»Hast du etwas dagegen, wenn ich mir einen Gin nehme?«
»Natürlich nicht. Es ist dein Haus.«
»Das ist heutzutage ein altmodischer Drink«, sagte Eve, als sie ein paar Minuten später mit ihrem Gin-Tonic zurückkam. »Heutzutage trinken alle unglaubliche Mixturen mit exotischen Namen. Ich werde langsam altmodisch, Merry. Ich bin vierundvierzig und finde es immer schwieriger, mich in das hineinzudenken, was meine Tochter sagt oder tut.«
»Das wird den meisten Eltern so gehen, kann ich mir vorstellen. Das hat nichts mit dem Alter zu tun. Es liegt an der Mutter-Tochter-Beziehung.«
»Sara wird nächsten Monat zwanzig.« Eve schien den Einwurf nicht gehört zu haben. »Es war mein armer, lieber Robert, der mich darauf aufmerksam gemacht hat, wie tief der Sumpf war, in dem Sara steckte. Natürlich weigerte ich mich anfangs, es zu glauben. Wir wohnten damals in London. Alles lief hervorragend für mich, und ich wollte einfach nicht wahrhaben, daß es im Balkenwerk gefährlich knackte. Dann kam Sara eines Nachts um drei oder vier Uhr morgens von einer Party nach Hause. Sie machte ein bißchen Krach, und ich wurde halb wach und dachte: Verdammter Fratz! Aber ich bin nicht aufgestanden. Gute Mütter stehen auf. Ich war immer eine miserable, also blieb ich liegen, zog mir das Kissen über den Kopf und versuchte wieder einzuschlafen. Sie rumorte noch eine Weile, dann wurde es still. Inzwischen hatte sogar ich begriffen, daß etwas nicht in Ordnung war, ich stand endlich auf und ging nachsehen, was los war. Sie war sternhagelvoll und hatte sich mehrmals übergeben. Eine solche Schweinerei hast du noch nicht gesehen. Dann war sie in ihr Zimmer gegangen und hatte sich in einen Sessel geworfen. Alle Lichter brannten, sie hatte noch ihr Partykleid an, und überall war Erbrochenes. Ich stand da, schaute auf sie hinunter und dachte: Lieber Gott, sie ist erst siebzehn. Was in aller Welt habe ich da geschehen lassen?«
»Hör zu, Eve«, sagte Meredith energisch, »dafür kannst du dir nicht die Schuld geben. Viele Halbwüchsige machen diese Phase durch.«
»Das war aber nicht das Schlimmste«, erwiderte Eve heftig. Ihre Finger umklammerten das Ginglas. »Sie schlief nicht und war auch nicht bewußtlos, sie saß da und murmelte vor sich hin. Ich versuchte mit ihr zu reden, wollte sie irgendwie ins Bett bringen. Ich rüttelte sie an den Schultern, schrie sie an. Irgendwann schien sie zu begreifen, daß jemand da war und wer ich war. Sie fing an, mir etwas zu erzählen, doch ich war zu wütend und so – so
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