Mord ist aller Laster Anfang: Ein Mitchell & Markby Roman
Fenstern hingen Tüllgardinen im Stil alter Wiener Kaffeehäuser, das einzige Bild war ein ziemlich mittelmäßiges Porträt von Eve, und nirgends war ein Buch zu sehen. Statt dessen lagen Hochglanzzeitschriften auf dem Couchtisch. Sogar der brüskierte Geist des Pfarrers war geflüchtet.
»Ich freu mich so, dich zu sehen, Merry«, sagte Eve. Ihre Stimme, eben noch laut vor Begeisterung, wurde plötzlich fast unhörbar. »Verdammt, jetzt fange ich auch noch an zu heulen.«
»Aber nicht doch!« rief Meredith. »Sei nicht albern, Eve. Ich bin nicht hier, um dir einen Oscar zu überreichen.«
»Ach, ich brauch dich einfach«, sagte Eve leidenschaftlich. »Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Diese Hochzeit – und alles andere. Du hast immer soviel Kraft gehabt, Merry, und mir Halt gegeben.«
»Also bitte, Eve, jetzt übertreibst du aber.«
Sie hörten, wie vor der Haustür ein Wagen abgestellt wurde. Etwas weiter entfernt fiel klirrend das Tor zu. Merediths Schlüssel in der Hand, tauchte Elliott wieder auf.
»Ihren Koffer habe ich in die Halle gestellt. Soll ich noch etwas für dich tun, Evie?«
»Gott segne dich, Liebling. Komm rein, damit ich dich mit meiner Cousine Meredith richtig bekannt machen kann.« Sie wandte sich wieder Meredith zu. »Du siehst so gut aus«, sagte sie mit Nachdruck. »Hab ich nicht recht, Elliott?«
Elliott stand mit gefalteten Händen ein bißchen abseits und ließ sich zu einer spontanen Antwort hinreißen. »Woher, zum Teufel, soll ich das wissen, mein Schatz? Ich habe sie erst vor zehn Minuten kennengelernt. Klar, sie sieht großartig aus.«
»Und du phantastisch, Eve«, sagte Meredith aufrichtig.
Eve strahlte aus jeder Pore gepflegten Charme aus. Ihr schönes Gesicht schien nur wenig verändert, seit Meredith sie vor etwa sechs Jahren zum letztenmal gesehen hatte. Elliott nickte. Sein Blick, der auf Eve ruhte, hatte jetzt etwas Besitzergreifendes, er betrachtete sie wie ein stolzer Vater.
»Du mußt nach einer Tasse Tee lechzen«, sagte Eve, plötzlich die praktische Gastgeberin. »Diese lange Fahrt. Lucia – sie kocht noch immer für mich
– ist beim Zahnarzt. Ich hoffe nur, daß es ihr bis heute abend wieder gutgeht. Jonathan kommt mit Sara aus London, und ich habe eine kleine Dinnerparty arrangiert. Sara kann’s gar nicht erwarten, dich wiederzusehen, und ich möchte, daß sie ein paar Tage bleibt, damit wir die letzten Hochzeitsvorbereitungen besprechen können. Es gibt so viel zu tun – du hast ja keine Ahnung. Ich hole den Tee, setz du dich nur hin und entspann dich.«
»Für mich keinen Tee«, sagte Elliott hastig. »Ich muß noch arbeiten. Außerdem werdet ihr Mädchen euch eine Menge zu erzählen haben. Wir sehen uns dann später.« Mit seinem leichten, elastischen Gang verließ er das Zimmer.
»Wer ist das?« fragte Meredith leise mit belegter Stimme. »Er sagt, du sollst seiner entsetzlichen Seifenoper ein bißchen Klasse geben.«
»Das erzähl ich dir später …« Eve warf einen verstohlenen Blick zur Tür. »Albie ist ein Schatz. Ich kenne ihn seit Jahren. Und ich würde wahnsinnig gern wieder mit ihm arbeiten. Nein, du brauchst mir nicht zu helfen, Merry, das schaffe ich schon allem.« Mit klappernden Absätzen ging sie über den Parkettfußboden zur Tür, um den Tee aus der Küche zu holen.
Allein gelassen, wanderte Meredith zum anderen Ende des Zimmers und sah sich das Porträt an. Das Datum in einer Ecke, direkt unter der Signatur des Malers und über einem kleinen Fehler im Rahmen – ein Splitter war aus dem Holz herausgebrochen –, sagte ihr, daß es zu der Zeit gemalt worden war, als Eve zum drittenmal geheiratet hatte. Ein Hochzeitsgeschenk für oder von der Braut? Der Name des Künstlers war Meredith nicht bekannt und schwer zu entziffern, der Pinselstrich plump, die Ausführung schludrig, aber der Mann hatte einen Blick für Farben, und er hatte etwas von Eve eingefangen. Während sie das Bild betrachtete, merkte sie, daß Eve sich doch verändert hatte, wenig nur, aber dennoch unübersehbar. Das dunkel lohfarbene Haar sah noch genauso aus wie auf dem Bild. Die schönen veilchenblauen Augen blickten noch so selbstsicher wie damals, doch in der Realität begann die Haut darunter ein ganz klein wenig schlaff zu werden. Die Kinnlinie auf diesem Bild war fester. Entweder wollte der Künstler ihr schmeicheln, oder Haut und Muskeln hatten im Laufe des letzten Jahres ein wenig von ihrer Straffheit verloren. Das Netz feiner und feinster Fältchen, das Eves Haut
Weitere Kostenlose Bücher